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Your Honor / Sky

Zwei junge motorisierte Männer rasen aufeinander zu. Der eine in voller Angst, scheinbar verfolgt von einer territorialen Gang. Ein Asthmaanfall macht alles noch atemberaubender. Auf der anderen Seite viel überhebliche Raserei auf dem Oldtimer-Motorrad, frisch geschenkt vom Vater. Schließlich stirbt nach packender Dramatik der Motorradfahrer elend langsam. Der panische Autofahrer macht sich davon. Man hat etwas Mitleid mit dem gebrechlich wirkenden Jungen, der den Todestag seiner Mutter ehren wollte – aber Fahrerflucht? Während das Opfer noch lebte?

Vater Michael Desiato (Bryan Cranston) macht seinem Sohn Adam (Hunter Doohan) zuhause direkt klar, dass sie zur Polizei müssen. Für diesen Anstand hätte man den geschätzten Strafrichter nicht vorher als äußerst moralischen und gewissenhaften Menschen zu zeigen brauchen. Für das was dann passiert, allerdings: Schon auf der Polizeistation sieht Desiato, dass Adam den Lieblingssohn des berüchtigten Gangsters Jimmy Baxter (Michael Stuhlbarg), Pate der blutrünstigsten „Familie“ von New Orleans, mit dem Auto ermordet hat. Was Folge für Folge in „Your Honor“ eskaliert, ist atemberaubend. In den Bemühungen, das Leben seines Sohnes zu retten, verfährt der ehrenwerte Richter ebenso umsichtig und klug, wie vorher für die gerechte Sache. Der Witwer und alleinerziehende Vater lässt erst das Unfallauto klauen. Mit psychologischer Raffinesse manipuliert er die Erinnerungen möglicher Zeugen. Um an die Bilder einer Überwachungskamera zu gelangen, spielt er dem Tankwart einen eifersüchtigen und betrunkenen Ehemann vor. Doch der Versuch, den Tatwagen mithilfe von Beziehungen verschwinden zu lassen, scheitert grandios.

Bryan Cranston geht hier wieder voll in seiner „Breaking Bad“-Rolle auf: Ein Guter, der Böses tut. Gleich in der ersten Gerichtsszene zeigt sich der passionierte Marathonläufer als strenger Richter mit Herz und ungewöhnlichen Methoden. Dass seine scharfe Beobachtungsgabe ausgerechnet die schwarze Mutter vor falscher Anschuldigung eines weißen Polizisten rettet, deren ältester Sohn bald als Sündenbock für seinen eigenen Sohn Adam hingerichtet wird, klingt mehr als unwahrscheinlich. Dass vor den Augen der ermittelnden Polizistin ein Motorradteil unter dem wiedergefundenen Auto rauspurzelt? Und ein Beweis vom Hund der Familie Desiato ausgegraben wird? Geschenkt angesichts der moralischen Ungeheuerlichkeiten, zu denen sich das anfängliche Dilemma zwischen Recht und Vaterliebe entwickelt.

Autor und Setrunner Peter Moffat („Criminal Justice“, 2008) entwickelte „Your Honor“ auf der Basis der israelischen Serie „Kvodo“. Das Land ist verlässlicher Steinbruch für Dramatisches wie schon bei „Homeland“ oder demnächst bei der französischen Serie „In Therapie“ auf ARTE. Nach dem ungemein spannend inszenierten und unappetitlich in Blut getränkten Auftakt, erzählt „Your Honor“ weiterhin packend und atmosphärisch dicht mit klasse Aufnahmen, toller Kamera und sorgfältigen Bildern. Die Stimmung vom „Big Easy“ genannten Brennpunkt New Orleans und der besondere Einfluss der Lebensart auf Justiz und Polizei kennt man aus Spielfilmen wie „The Big Easy – Der große Leichtsinn“ mit Dennis Quaid. Regie führte in den ersten drei Folgen der Deutsche Edward Berger („Jack“, „Deutschland 83“).

Während Bryan Cranston seine ganze Figur trocken aus dem Anzug spielt, gibt es beim Opponenten Michael Stuhlbarg („Call Me by Your Name“) Übertreibung in Gestik und Szenen. Doch „Your Honor“ lebt von einem großen Figuren-Ensemble, das mit in den Strudel aus Schuld und noch mehr Schuld gezogen wird. Oder immer wieder Anstöße zu neuen Katastrophen gibt: Frankie (Tony Curran), der irische Handlanger von Baxter, startet einen Bandenkrieg. Baxters Frau Gina (Hope Davis) gibt eine herrliche Lady Macbeth. Ob sich diese Dichte von vier gesichteten Episoden halten lässt, steht aus. Doch diese erfüllen alle Bedingungen des kriminellen Spannungs-Genres.

Zehnteilige Serie auf Sky Atlantic sowie auf Sky Ticket und über Sky Q auf Abruf.

„Your Honor“ (USA 2020/21), Regie: Edward Berger, Peter Moffat, mit Bryan Cranston, Michael Stuhlbarg, Hunter Doohan, 10 Folgen á 60 Min., FSK: keine Angabe


Ein FILMtabs.de Artikel