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Rojo

Argentinien 2018, R: Benjamín Naishtat, D: Darío Grandinetti, Andrea Frigerio, Alfredo Castro, 109 Min.

Argentinien, Mitte der Siebziger – Ein Land von innen nach außen gekehrt. Nationalstolz wird wie ein Abzeichen an der Brust getragen, Recht und Gesetz sind ausgehebelt. Stattdessen sucht ein jeder in der gut situierten Mittelklasse seinen eigenen Vorteil. In diese dysfunktionale Gesellschaft stolpert Dieguito (Diego Cremonesi), ein Rüpel ohne Manieren, der eines Abends in ein Restaurant einfällt und sich mit Claudio (Darío Grandinetti) anlegt. Der einflussreiche Berater fühlt sich dem ungehobelten Hippie überlegen und spielt diese Karte aus. Vor den gesammelten Gästen macht er Dieguito lächerlich, bis der wie ein geprügelter Hund von dannen zieht. Draußen lauert er Claudio und seiner Frau auf und es kommt zum Showdown, an dessen Ende Dieguito verschwindet.

Die Eröffnungszene von „Rojo“ ist nicht die einzige Referenz zum Western in Benjamin Naishtats düsterer Allegorie auf die Verkommenheit der Spezies Mensch. Es gibt auch einen Sherrif, den Fernsehdetektiv Sinclair (Alfredo Castro), der in die Stadt einreitet, um das Verschwinden Dieguitos zu untersuchen. Das alles spielt sich in den Monaten vor dem Staatsstreich von 1976 ab, ein Zeitrahmen, den der argentinische Autor und Regisseur Naishtat bewusst wählte. Es herrscht eine Atmosphäre aus Angst und Überwachung. Menschen verschwinden und werden in der Wüste gefunden. Der Putsch des Militärs wird die Bevölkerung über Jahre hinweg dem Staatsterror unterwerfen. Mit seinen Filmen thematisiert Naishtat immer wieder den Zerfall der Ordnung in seinem Heimatland in verschiedenen Epochen. Die Angst hinter den Mauern der Wohlhabenden im Berlinale-Beitrag „Historia des miedo“, Anarchie und Chaos im 19. Jahrhundert in „El Movimiento“ – nur scheinbar wirkt die Gesellschaft in „Rojo“ distinguierter. Unter der Oberfläche fault die Ordnung. Das ist mit ruhigen, langen Einstellungen inszeniert, die Geduld abfordern. „Rojo“ ist oftmals recht vordergründig erzählt, aber voll unbequemer Faszination.


Ein FILMtabs.de Artikel