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Il Traditore

Italien, Frankreich, BRD, Brasilien 2019 Regie: Marco Bellocchio, ,mit Pierfrancesco Favino, Maria Fernanda Candido, Luigi Lo Cascio, Fausto Russo Alesi, Nicola Calì 153 Min. FSK ab 12

Der Zähler am Bildrand tickt unerbittlich weiter, wobei wir nur eine Handvoll der Toten in diesem Bandenkrieg zu sehen bekommen. Anfang der 1980er-Jahre kämpfen die sizilianischen Mafia-Familien Badalamenti und Corleonesi um den Drogenmarkt. Tommaso Buscetta, Macho ohne Machtansprüche in der Cosa Nostra, hat sich da schon mit seiner dritten Ehefrau nach Brasilien abgesetzt, von wo er den Kokain-Schmuggel nach Sizilien kontrolliert. Doch der Corleone Totò Riina lässt die Gewalt eskalieren, bringt Kinder und die Verwandtschaft der Gegner um, darunter auch Buscettas älteste Söhne. Nachdem das brasilianische Militär-Regime Buscetta verhaftet, foltert und schließlich ausliefert, wird der Verbrecher Mitte der 80er zum ersten „Pentito“, zum Kronzeugen gegen die Mafia. Im Gespräch mit dem berühmten Richter Falcone belastete hunderte Mitglieder der Mafia. Behauptete aber immer, er hätte das Schweigegelübde nie gebrochen, weil er nur die neuen, unehrenhaften Verbrecher der Cosa Nostra angezeigt hätte. Diese Aussagen führen zu historischen Massen-Prozessen, die Bellocchio in teilweise absurd verlaufenden Szenen zeigt.

„Il Traditore“ (Der Verräter) ist ein faszinierender und erstaunlicher Film, weil er alle Erwartungen unterläuft: Er ist kein Mafia-Film, zeigt kein Gemetzel, keine Machtkämpfe. „Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ (so der deutsche Krückstock-Titel) ist Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino) eine problematische Figur. Er kommt fast sympathisch rüber, den einzigen gezeigten Mord des durchaus berüchtigten Mafioso bewahrt sich Bellocchio für die letzte Szene auf. Würde Falcone bei den vielen Gesprächen nicht energisch intervenieren, fast würde man auch noch das Märchen glauben, die alte Cosa Nostra, die vor dem Drogengeschäft, sei ja eine gute Sache gewesen. „Il Traditore“ begeistert als fesselndes Porträt mit starkem Fokus aufs Schauspiel, bis in die kleinsten Nebenrollen mit spannenden Typen ausgestattet. Auch wenn am Ende ein skurriler Andreotti auftaucht, der vorher schon mal in Unterhosen durch die Szene lief, hat „Il Traditore“ nicht die stilistische Moderne von Paolo Sorrentinos „Il divo“ (eben über diesen äußerst zwielichtigen Mafia-Ministerpräsidenten Andreotti). Auch wenn die Inszenierung nicht spektakulär klingt, ist „Il Traditore“ in jedem Moment packend. Die zweieinhalb Stunden vergehen im Flug. Vor allem während der Prozesse ist es auf großer Bühne großes Theater, bei dem die Figur Buscetta alles zusammenhält.

Der italienische Regisseur Marco Bellocchio ist eine Institution des europäischen Kinos. Seine gefeierten Filme sind vielseitig, auch wenn es abgehobene Literatur-Bearbeitungen wie „Der Prinz von Homburg“ (1997) gibt, umkreisen Werke wie „Bella addormentata“ (2012), „Im Namen des Vaters“ (1972) oder „Mit der Faust in der Tasche“ (1965) immer den Zustand der italienischen Gesellschaft.


Ein FILMtabs.de Artikel