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The Wild Pear Tree

Türkei, Bulgarien, BRD, Frankreich 2018 (Ahlat Agaci) Regie: Nuri Bilge Ceylan, mit Dogu Demirkol, Murat Cemcir, Bennu Yildirimlar, Hazar Ergüçlü 188 Min.

Wer noch nie von einem Film – oder auch eine Fotoausstellung – Nuri Bilge Ceylans beglückt wurde, sollte sich mit dieser kleinen Erfolgs-Liste des türkischen Regisseurs ködern lassen: Cannes 2003: Großer Preis der Jury für „Uzak – Weit“. Cannes 2008: Beste Regie für „Drei Affen“. Cannes 2011: Großer Preis „Once Upon a Time in Anatolia“. Cannes 2014: “Goldene Palme” (endlich) für „Winterschlaf“. Und dabei fehlt noch einer der schönsten seiner Filme, „Jahreszeiten – Iklimler“, der 2006 „nur“ den FIPRESCI-Preis in Cannes erhielt. Also einer der anerkannten Götter des Film-Olymp, der nun mit „The Wild Pear Tree“ die versandende Rebellion eines Künstlers in der Türkei von heute wort- und bildgewaltig ausbreitet.

Der nicht mehr ganz junge Sinan kommt zu Ende seines Studiums zurück ins Heimatdorf. Der Vater verspielt das kleine Gehalt eines Dorflehrers, versucht gegen alle Warnungen oben auf dem Hügel vergebens einen Brunnen zu graben und lacht trotzdem viel. Die Mutter zündet Kerzen an, wenn der Strom abgestellt wird, und schwärmt von einem anderen Mann, den sie einst liebte. Genauso vergeblich sind Sinans Versuche, das erste eigene Buch zu veröffentlichen. Keiner will ihm das Geld für den Druck geben. Eher anlasslos legt sich der verkannte und ansonsten stille Künstler mit einem Schriftsteller an, kritisiert Imame und entfremdet sich vom Vater.

Typisch für Nuri Bilge Ceylan sind Menschen vor enorm weiten, atemberaubenden Landschaften. Grandiose Aufnahmen in Cinemascope, die jeder Foto-Ausstellung zu Ehren gereichen würden, gerne auch mit Schnee. Vor diesen laufen drei lohnenswerte Stunden lang Diskussion ab. Zum Beispiel eine über Glauben und Atheismus, die damit beginnt, dass zwei junge Imame Äpfel klauen. Von einem von ihnen haben wir bereits gehört, dass er auch von den armen Leuten öfters Goldstücke nimmt und sie nicht zurückgibt. So geht es im inhaltlich packenden Zwiegespräch viele Minuten lang hinab vom Hügel zu einem Kaffee, in dem dann bei einem Cay weiter diskutiert wird.

Der Abspann, der endlich das immer wieder Bachs angeklungene „Passacaglia“ ausspielt, erwähnt Tschechow, Dostojewski und Nietzsche als Einflüsse. Filmisch kann man Bergman, Angelopoulos und Tarkowski hinzufügen. Was sich in „The Wild Pear Tree“ zwar undramatisch, aber enorm kunstvoll entwickelt, ist der Versuch eines Künstlers aufzubegehren, der Verrat eines verlorenen Sohns und die sehr bewegende Aussöhnung, die jede Dialog-Länge wert ist.


Ein FILMtabs.de Artikel