« | Home | »

Offenes Geheimnis

Spanien, Frankreich 2018 (Todos lo saben) Regie: Asghar Farhadi mit Penélope Cruz, Javier Bardem, Ricardo Darín 133 Min. FSK ab 12

Bereits zweimal hat der iranische Regisseur Asghar Farhadi den Auslands-Oscar gewonnen, zudem mehrere Preise in Berlin und Cannes erhalten. Nach seinem Pariser Beziehungsdrama „Le Passé“ gelingt ihm auch in Spanien ein feiner Blick auf menschliche Zwänge und Abgründe. Penélope Cruz und Javier Bardem spielen ein ehemaliges Liebespaar, das sein Verhältnis in einer dramatischen Situation neu definieren muss.

Ein spanisches Familienfest, wie es im Filme steht: Für die Hochzeit ihrer Schwester kehrt Laura (Penélope Cruz) aus Argentinien zurück ins spanische Heimatdorf. Die Küsschen für die Verwandtschaft hören gar nicht auf, Nichten sind schnell groß geworden, Schwestern fassen die Ereignisse der letzten Jahre zusammen, der Vater ist mittlerweile gebrechlich. Der ehemalige Geliebte Paco (Javier Bardem) taucht mit seiner Frau auf. Lauras Tochter Irene (Carla Campra) wird von Pacos gleichaltrigen Neffen Felipe angebaggert und verschwindet direkt für eine Moped-Tour.

Die Hochzeit ist das große Fest, das man kennt und erwartet. Selbst Wolkenbruch und Stromausfall rufen nur kurz ein „Mamma Mia“ hervor. Das ist nicht schlecht, aber erscheint so undramatisch nett, dass man sich gerne wie Irene zurückziehen würde. Der ist allerdings sehr schlecht und als Laura etwas später nach der Tochter schauen will, ist diese verschwunden. Und bald trifft per SMS eine Lösegeld-Forderung ein. Während die Suche – wie verlangt ohne Polizei – nicht weiter führt, bringt ein Privatdetektiv ungewünscht verschwiegene Details aus der Familie ans Licht. Der Alkoholismus von Lauras ehemals reichem (Geschäfts-) Mann Alejandro wird ebenso Thema wie seine aktuelle Arbeitslosigkeit. Dass Lauras komplette Familie Paco, dem Sohn einer ehemaligen Bediensteten, fortwährend vorwirft, das Land seines Weinguts zu billig von der Familie bekommen zu haben, ist mehr als offensichtlich. Auch das frühere Verhältnis zwischen Laura und Paco ist in Stein und das allgemeine Gedächtnis gemeißelt.

Während in den genialen iranischen Filmen Asghar Farhadis für den Westeuropäer auch alltägliche Handlungen und Verhalten befremdlich als möglicher Code betrachtet werden, erscheint die spanische Familienfeier dem fleißigen Urlauber im Süden sehr vertraut. Zu vertraut. Erst im dramatischen weiteren Verlauf der Geschichte wird genauer hingeschaut. Mit Hilfe der Kameras und Drohnen, die bei der Hochzeit dabei waren. Diese Gesellschaft ist nicht die heimelige Familie, heimliche und schockierende Absichten verbergen sich hinter bekannten Ritualen.

Was ist man bereit für ein Menschenleben zu tun? Oder im Kapitalismus: zu zahlen? Nach „The Salesman“ (2016), „Le passé – Das Vergangene“ (2013) und „Nader und Simin – Eine Trennung“ (2011) seziert der iranische Regisseur Asghar Farhadi in seinen achten Spielfilm wieder vortrefflich menschliches Verhalten. Wie fein die Geschichte von „Offenes Geheimnis“ entwickelt ist, zeigt sich an den verschiedenen ausgelegten Fäden, denen man sehr erquicklich folgen kann. Es könnte übersehen werden, in einer Gesellschaft, in der jeder trinkt, aber Alkohol im Gegensatz zu Marihuana keine Droge ist: Hier ist Alkohol ein großes Thema. Paco mit seinem Weingut, Alejandro (Ricardo Darín) mit seinem Alkoholismus und sein Schwiegervater Antonio zeigt auch betrunken nicht seine beste Seite. Den Lehrsatz dazu bringt Paco als Ersatzlehrer in der Klasse seiner Frau: Der Unterschied zwischen dem Traumensaft und dem Wein ist allein Zeit. Zeit zur Entwicklung zu etwas Gutem oder Schädlichem. Wie sich die Menschen in Lauras kleinem Dorf während der letzten 16 Jahre entwickelt haben, ist ebenso aufschlussreich wie spannend.


Ein FILMtabs.de Artikel