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Vom Ende einer Geschichte

Großbritannien 2017 (The Sense of an Ending) Regie: Ritesh Batra mit Jim Broadbent, Charlotte Rampling, Harriet Walter 108 Min. FSK ab 0

Die Verfilmung des hochgelobten und mit dem Man Booker Prize ausgezeichneten Romans „The Sense of an ending“ von Julian Barnes ist ein wunderbar subtil ausgeführtes Melodram über die Subjektivität der Erinnerung. Jim Broadbent glänzt darin als scheinbar freundlicher, alter Kauz, der einer furchtbaren Lebenslüge auf die Spur kommt.

Tony Webster (Broadbent) wirkt wie ein sympathischer und trotz Scheidung zufriedener Sonderling, der noch Briefe schreibt und Leica-Kameras verkauft. Er gibt beim Geburtsvorbereitungskurs für die lesbische Tochter die Vertretung der Vertretung und kebbelt sich mit seiner Ex, die davon eher genervt scheint. Bis der Brief einer Kanzlei ihn über den Tod der Mutter seiner ersten Freundin informiert. In Studienzeiten Mitte der 60er-Jahre traf Tony Veronica, die junge Frau mit der Leica. Sie waren eine Weile zusammen, er durfte für ein seltsames Wochenende mit zum Landhaus ihrer Eltern. Dann aber verlässt ihn Veronica für seinen besten Freund Adrian, der sich bald darauf umbringt.

Dass Geschichte laut Patrick Lagrange „die Lüge der Sieger und die Einbildung der Besiegten“ sei, ist die Grundidee von Film und Buch, reflektiert in Tonys Philosophie-Seminar. Denn in den umständlichen Erzählungen gegenüber seiner geschiedenen Frau, redet der irritierte alte Tony konstant über sich selbst und um einen unbestimmten heißen Brei herum. Als er nach eher komischen Versuchen die gealterte Veronica (Charlotte Rampling) ausfindig machen kann, die nichts von ihm wissen will, wird aus der nonchalanten Postkarte für das frische Liebespaar seiner Erinnerung ganz real ein bitterböser Brief voller Verwünschungen. Und dass der freundlichen Fassade Tonys auch raue Antworten und Ausbrüche entschlüpfen, zeigt, dass er nicht wirklich in seinem Leben ruht.

Regisseur Ritesh Batra, der schon 2013 mit seinem Debüt „Lunchbox“ begeisterte, verschachtelt gekonnt Erzähl-Ebenen und -Perspektiven. Ihm gelingt die Verbindung der Zeitebenen auf verschiedene Weise formvollendet. Unter den großartigen Schauspieler für die alten und jungen Rollen sticht Jim Broadbent („Iris“, „Moulin Rouge“) hervor, als egozentrischer alter Mann, der sich zum Schlechteren wandelt. Diese völlig glaubhaft verkörperte Rolle lockert Broadbent mit den ihm typischen linkischen Einlagen auf. Die Erinnerung an eine alte, schmerzliche Liebesgeschichte wandelt sich in den Hass einer unerfüllten Liebe, ein düsteres Geheimnis enthüllt sich nur teilweise. Nick Drakes Klassiker „Time has told me“ gibt dabei musikalisch die Stimmung vor.


Ein FILMtabs.de Artikel