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Thelma

Norwegen, Frankreich, Dänemark, Schweden 2017 Regie: Joachim Trier mit Eili Harboe, Kaya Wilkins, Henrik Rafaelsen, Ellen Dorrit Petersen 116 Min. FSK ab 12

Nach seinem atemberaubend großartigen US-Debüt „Louder Than Bombs“ (mit Jesse Eisenberg, Gabriel Byrne und Isabelle Huppert) ist Regisseur Joachim Trier („Reprise – Auf Anfang“, „Oslo, 31. August“) nach Norwegen zurückgekehrt. In Oslo erlebt die zum Studium in die Stadt gezogene, stille Thelma (eindringlich: Eili Harboe) erste Erfahrungen mit Alkohol und Tabak, dazu fühlt sie sich zu einer Kommilitonin hingezogen. Was die Ekstase eines epileptischen Anfalls nach sich führt, während ein Rabe gegen das Fenster fliegt. Beim ersten nächtlichen Treffen der beiden Frauen flackert die Straßenlaterne zum neuerlichen Anfall. Das alles passiert in Angst vor der grausamen Kontrolle mit täglichen Telefonanrufen durch Thelmas rigide protestantische Eltern. Diese Evolutions-Leugner sind auch in ihren anderen Lebensweisen sehr seltsam. So wird Thelmas Liebe zum Vater und die Zugehörigkeit zu diesen christlichen Extremisten auf die Probe gestellt.

„Thelma“ erzählt auf unheimlich packende Weise eine ähnlich Geschichte wie „Requiem“ von Hans-Christian Schmid, 2005 mit Sandra Hüller in der Hauptrolle. Während es bei Schmid allerdings alles auf einen wahnsinnigen Exorzismus hinauslief, wird in „Thelma“ vordergründig das rückständige Leben und Denken der gefährlichen Religion seziert. Dabei werden die Eltern nicht nur als religiöse Fanatiker verteufelt.

Nach dem Verdacht auf Epilepsie und einem Einblick in alte Krankenakten versteht Thelma endlich das seltsame Verhalten ihrer extremistisch christlichen Eltern. Das erweist sich als seelisch grausamer als blutrünstige Horrorfilme. So erschließt sich auch die Anfangsszene von Vater und Tochter im Winterwald, in der er das Gewehr nicht auf das Reh, sondern auf die Tochter anlegt. Die Anfälle erweisen sich anscheinend als Psychose auf Basis seelischer Grausamkeiten seit der Kindheit. Das ist psychologisch sehr exakt, packend und erschreckend. Richtig dramatisch wird es, als die Eltern dem Opium der Religion noch weitere Chemie zur Beruhigung hinzufügen. Mit einer sehr raffinierten Volte stellt Joachim Trier allerdings das rationelle Denken auf den Kopf und realisiert in der nächsten Schicht einen Mystery-Film, der klug auf seine Vorgänger im Horror-Genre aufbaut. Denn endlich noch einmal ist die „Hexe“ hier nach entschlossener Emanzipation nicht mehr Opfer. Die ungewöhnliche Dramaturgie wird durch eine ungeheuer starke und zeitweise auch unheimliche Bildsprache, unterstützt vom dröhnendem Score, zu einem weiteren Beleg von Triers kluger Exzellenz.


Ein FILMtabs.de Artikel