« | Home | »

Der seidene Faden

USA 2017 (Phantom Thread) Regie: Paul Thomas Anderson mit Daniel Day-Lewis, Lesley Manville, Vicky Krieps 131 Min. FSK: ab 6

Zwei geniale Künstler, die sich rar machen, spinnen an einer ungewöhnlichen Geschichte: Daniel Day-Lewis will sich nach dieser Rolle gar von der Schauspielerei zurückziehen. Und „The Master“ Paul Thomas Anderson („There Will Be Blood“, „Punch-Drunk Love“) lässt sich immer ein paar Jahre Zeit zwischen seinen Meisterwerken. In dem Kunststück „Der seidene Faden“ führen beide einen edlen, selbstverliebten Modemacher vor, den die Liebe zu einer einfachen Kellnerin komplett umstülpt.

Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) ist ein berühmter und begehrter Mode-und Schneiderkünstler im London der 50er-Jahre. In seinen Kleidern fühlen sie sich vollkommen, die Frauen der Königshäuser und der High Society. „Vielleicht gibt es niemanden, der mehr fordert“, sagt seine Schwester Cyril (Lesley Manville) über ihn. Und er fordert auch von sich selbst, wie man bei der Morgentoilette und dem Ankleiden erkennt. Hoch zur Sonne, ins Licht kommen seine Näherinnen und die Kundinnen beim Eintritt in Atelier und Wohnung. Die Schwester verwaltet dort Gefühle und Beziehungen. Gerade hat sie die langweilig gewordene Frau rauskomplimentiert und der Künstler fühlt sich etwas komisch. Da hilft eine neue, junge Frau beim Kurzurlaub an der Küste. Dass Alma (Vicky Krieps) als Bedienung arbeitet, ist perfekte Voraussetzung. Beim ersten Date modelliert er sie um, Woodcocks Vorstellung von Romantik ist, ein Kleid anprobieren, die Neue rundherum ausmessen. Die Schwester ist schon wie selbstverständlich dabei.

Das ist Vertigo hoch zwei und ein faszinierender wie abstoßender Prozess. Alma verfolgt erstaunt und keck amüsiert wie schamlos die Geschwister in der Selbstverständlichkeit dieses unglaublichen Vorgangs sind. Doch die gleiche Masche bleibt es nicht. Bald bewegt sich die Neue beim Frühstück zu viel und zu laut, das verwöhnte, empfindliche Kind Woodcock zickt rum. Wie Alma es schafft, dass der eitle Künstler schließlich ganz von der Rolle ist, überrascht in dieser gedeckten, gediegenen Inszenierung. „Der seidene Faden“ scheint mittendrin zum Psycho-Thriller abzudriften, wird aber mit dem Finale eines sehr ungewöhnlichen Liebesfilms fein versäumt.

Ja, Daniel Day-Lewis ist ein großartiger Schauspieler, wird hier aber irgendwie vom Drehbuch auf dem linken Fuß erwischt: Sein sensibler Egozentriker ist ein unangenehmer, unausstehlicher Typ. Aber kein großartiges Kino-Ekel. Bemerkenswerter dabei ist der Auftritt der Luxemburgerin Vicky Krieps („Der junge Karl Marx“, „Das Zimmermädchen Lynn“). Schön, sie in einem ganz großen Film zu sehen. Mit mitspielen kann sie in der Rolle der Muse und lebendigen Seele Alma locker. Krieps hat sich selbst in Deutsch nachsynchronisiert, dadurch bleibt ihr ganz eigener, eigentümlich langsamer und kantiger Sprachduktus erhalten.

Ja, der sehr gradlinige, einfache Handlungsfaden gewährt Zeit und Aufmerksamkeit für die Feinheiten der Inszenierung, für die Psyche der Figuren. Das ist nicht wie beim Neo-Western „There will be blood“, in dem Day-Lewis ebenfalls für Anderson spielte. Man hätte den seidenen Faden kunstvoller verflechten können, die Handlungen wenden und ausstaffieren. Aber von den letzten Minuten her, vom Blick auf eine schließlich faszinierend offene Beziehung zeigt sich das Meisterwerk in Vollendung als sehr sehenswerter Film.


Ein FILMtabs.de Artikel