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Saint Amour

Frankreich, Belgien 2016 Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern mit Gérard Depardieu, Benoît Poelvoorde, Vincent Lacoste, Céline Sallette 102 Min. FSK: ab 12

Diesmal füllt nicht Depardieu allein das Bild und den Film. Ein Zuchtbulle auf der Landwirtschaftsschau ist noch massiver als der französisch-russische Star. Und der komische und wilde Belgier Benoît Poelvoorde („Das brandneue Testament“, „3 Herzen“) nimmt als Filmsohn Depardieus die Hauptrolle ein. Während Jean (Depardieu) auf eine weitere Auszeichnung für sein mächtiges Vieh hofft, trinkt sich Bruno (Poelvoorde) säuisch durch die Weinregionen, bis er eine Hostess grob und gewalttätig angeht. Nun ist Bruno auch nüchtern nicht besonders helle und das Verhältnis von Vater und Sohn seit dem Tod der Mutter kompliziert bis nicht existent. Um das zu ändern, mietet Jean spontan Leihwagen und Fahrer (Vincent Lacoste) für einen Kurz-Trip in die realen Weinregionen Frankreichs.

So ein Road-Movie verlorener Gestalten ist eine Spezialität des Regio-Duos Benoît Delépine und Gustave Kervern. In „Mammuth“ schickten sie Depardieu als Rentner mit seinem Motorrad auf eine Reise in die Vergangenheit. In „Der Tag wird kommen“ lebte Poelvoorde als alter Punk direkt auf der Straße und zog mit seinem spießigen Bruder aufs Land. Das ländliche Frankreich ist nun in „Saint Amour“ Kulisse für abstruse Szenen und Begegnungen dreier frustrierter Männer im Taxi.

Zuerst gibt ausgerechnet der menschenfeindliche Autor Michel Houellebecq den freundlichen Wirt einer Familienpension. Vielleicht sah er ein, dass er in Sachen Demontage erbärmlicher Figuren nicht mit Delépine / Kervern mithalten kann. In der rauen Realität dieser teils weinerlichen und in den Begegnungen mit Frauen surrealen Weinreise finden sich noch weitere prominente Perlen wie Chiara Mastroianni als Frittenbuden-Betreiberin, bei der Wein aus dem Plastikbecher getrunken wird. Die seit „Das große Fressen“ legendäre Andréa Ferreol darf Depardieu in einem Motel verführen und eine lesbische Maklerin benutzt Poelvoorde bei einer deplatzierten Wohnungsbesichtigung zur Rache an ihrer Freundin.

Wer jetzt wieder einen ziemlich netten, oberflächlichen Unterhaltungsfilm aus Frankreich erwartet, wird nach dieser rauen Hochprozenter mit kräftigem Kater aus dem Kino kommen. Ein witziger Alkoholiker? Das wäre ja auch ziemlich widerlich. So gnadenlos wie Bruno die zehn Schritte ins Delirium aufzählt, zeichnet „Saint Amour“ die Sauferei und ihren Nährboden mit drastischer Offenheit und trotzdem mit viel zarter Liebe für die erbärmlichen Figuren.

Das seltsam paradiesische Finale ist ein verkehrter Männerwitz: Die rothaarige depressive Gutsbesitzerin (Céline Sallette) schläft mit allen dreien, die sich dabei als peinliche Lachnummer erweisen. Aber die hilf- und haltlosen Männer auf der Suche nach einem Lebenssinn finden ausgerechnet hier ihren Platz … als Samenspender. Das ist ebenso wenig schlüssig wie glaubwürdig. Doch die Kunst von Delépine / Kervern, drastisch wie schamlos Menschen in all ihrer Hässlichkeit vorzuführen, und ihnen dabei einen Rest Würde zu lassen, funktioniert auch in „Saint Amour“. Mit unangepasstem Humor und schauspielerischen Glanzleistungen.


Ein FILMtabs.de Artikel