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Der Vorleser

Der Vorleser
USA, BRD 2008 (The Reader) Regie: Stephen Daldry mit Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Jürgen Tarrach 124 Min.

Wie gute Literatur lässt sich dieser Film von mindestens zwei Seiten her lesen: Vom großen Erfolg der Hauptdarstellerin Kate Winslet, die nach dem Golden Globe nun auch einen Oscar für ihre Darstellung der Straßenbahnschaffnerin und KZ-Wächterin Hanna Schmitz erhielt. Oder vom gleichnamigen Bestsellers des deutschen Autors Bernhard Schlink her, der auch unter Einsatz der Bonner Senfkorn Film-Produktion zu einem weltweit beachteten Film wurde. Und wie das Buch erzählt auch der Film aus zwei Perspektiven einer Person, die vor und nach einer tragischen Liebe nicht mehr die gleiche ist.

Michael Berg ist ein reifer, materiell arrivierter Mann. Die regungslose Mimik von Ralph Fiennes zeigt ohne viel zu zeigen die emotionale Leere, die schmerzensreiche Beziehungslosigkeit dieses Menschen. Um es ganz deutlich zu machen, erwähnt die schöne, jüngere Frau, die sein Schlafzimmer verlässt, dass sie nicht erwartet, ihn wiedersehen zu können. Was den Mann Michael Berg so beziehungsunfähig machte, zeigt die Perspektive des 15-jährigen Schülers Michael Berg (David Kross), der sich Ende der 1950er-Jahre im Nachkriegsdeutschland in die doppelt so alte Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet) verliebt. Die erste Begegnung ist zufällig, die zweite und dritte sind heimlich gesucht. Eine unerklärliche Anziehung führt zu einer unmöglichen Leidenschaft des ungleichen Paares. Michael wird von Hanna in die Geheimnisse der Liebe eingeführt. Irgendwann wünscht sie sich dafür, dass er ihr Werke der Weltliteratur vorliest. Er wird ihr intimer Vorleser. Humanistische Bildung gegen eine schöne Körperlichkeit, die Kate Winslet sehr natürlich präsentiert. (Filmpartner David Kross meistert, gerade erst volljährig geworden, diese kritischen Szenen mit glaubhafter Unsicherheit.)

Ein knappes Jahrzehnt später begegnet der Jura-Student Michael der Geliebten im Gerichtssaal wieder, wo sie sich für ungeheuerliche Taten als Wärterin des Konzentrationslagers von Auschwitz verantworten muss. Mit anderen Aufseherinnen ist sie des 300-fachen Mordes angeklagt. In Gesprächen mit seinem Jura-Professor (eindrucksvoll: Bruno Ganz) versucht der erschütterte Michael seine Gefühle mit seinem moralischen Empfinden in Einklang zu bringen. Doch das eigentliche Dilemma ergibt sich, als Michael als Einziger erkennt, weswegen sich Hanna als Alleinschuldige bekennt. Er schafft es nicht, seinen inneren Konflikt zu überwinden, weshalb es noch Jahrzehnte dauern wird, bis er sein Unvermögen, mit der Schuld umzugehen, als erneuter Vorleser abbüßt.

Der Umgang der Nachgeborenen mit der Generation des Nationalsozialismus ist das grundlegende Thema von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“. Es sei eine Geschichte über den Umgang mit dem Grauen von Holocaust und Nazi-Herrschaft zwischen den Generationen, erzählt Regisseur Daldry („Billy Elliot“, „The Hours“). Sein Film nach einem Drehbuch von David Hare („The Hours“, „Damage“, „Wetherby“) kann dieses Sujet nicht ähnlich tief durchdringen, wie der Roman. Doch vor allem durch sehr gutes Schauspiel und schlüssige Inszenierung erzählt „Der Vorleser“ seine eigene Geschichte von Schuld, von Recht und Gerechtigkeit, vom juristischen Urteil und dem Verurteilen des Herzens. Kate Winslets mutigem Spiel ist es zu verdanken, dass das Wesen der Hanna zwischen Monster und Opfer rätselhaft bleibt.

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Zwischen Berlin und New York pendelte die Handlung von „Der Vorleser“, zwischen Nordrhein-Westfalen und New York die Produktionsgeschichte: Michael Simon de Normier von der Bonner Senfkorn Film holte die Dreharbeiten mit Hilfe der Filmstiftung NRW an den Rhein. Drei Wochen drehte die Filmcrew in den MMC-Studios sowie auf dem Gelände der HDI Gerling Lebensversicherung in der Kölner Innenstadt. Weitere Drehorte waren Berlin und New York.


Ein FILMtabs.de Artikel