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Sieben Mulden und eine Leiche

CH 2007, 84 min, V: Neue Visionen, R: Thomas Haemmerli 83 Min.
Über das, was vom Leben übrig bleibt
Der Fluch des Materiellen: wie oft lässt man mal was liegen oder zögert sich von etwas zu trennen, egal ob es sich um lieb gewonnen Tand handelt oder um vertraute Erinnerungsstücke. Im schlimmsten Fall wächst einem der Besitz irgendwann über den Kopf.
Thomas Haemmerli musste sich zwangsweise mit den Folgen dieses „Messietums“ auseinandersetzen. Der Schweizer Fernsehjournalist hatte vor vielen Jahren mit seiner Familie abgeschlossen. Den Bruder sah er nur noch selten und der Kontakt zur Mutter beschränkte sich auf die regelmäßigen Unterhaltszahlungen, mit denen die Söhne die Schulden, die ihr Vater hinterlassen hatte, zu tilgen versuchten. 
Auch sein Bruder Erik hatte die Wohnung der Mutter seit fast zehn Jahren nicht mehr betreten. Wenn er sie vor ihrem Haus abholte, war sie immer adrett gekleidet. Sie achtete auf ihr Äußeres. Umso unfassbarer war der Anblick, der sich den beiden bot, als sie die Wohnung öffneten: bergeweise Ordner, Zeitschriften, Kisten türmen sich in den Ecken. Müll, Schrott, Dreck, soweit das Auge reichte. Die bittere Erkenntnis: ihre Mutter war ein „Messie“.
Vor der eigenen Kamera machen sie sich daran, die Wohnung zu räumen, füllen Mulde (Container) um Mulde und verbrennen die Unterlagen im Kamin. Das Feuer verschafft Genugtuung, ebenso wie jeder Aufprall in der Mulde. Ständiger Begleiter ist ein unerträglicher Verwesungsgeruch, denn ihre Mutter lag tagelang unentdeckt in der Wohnung und, wie Thomas mit dem ihm eigenen trockenen Humor bemerkt: „die Fußbodenheizung ist sehr effektiv.“
Manchmal sehnt man sich nach ein wenig Abstand zum Gezeigten, doch die Kamera ist immer ganz dicht dran. Die Brüder Haemmerli schonen nichts und niemanden. Die Wohnungseinrichtung wird zerlegt, was von ihrer Mutter blieb fachmännisch vom Laminat gekratzt. Der Schmerz des Verlustes ist fühlbar, wenn Briefe und Bilder an die Oberfläche gespült werden. Der Fluch des Sammelns wird zum filmischen Glücksfall: die Super8-Filme ihrer Mutter dokumentieren minutiös die Glückseeligkeit der Wirtschaftswunderjahre, den Wohlstand und Zerfall. Thomas Haemmerlis Film ist so gleichermaßen zeitgeschichtliches Dokument und Biographie einer gescheiterten Existenz. Berührend, bitterböse und manchmal auch sehr, sehr lustig.

Ein FILMtabs.de Artikel