Sieben

USA 1995 (Se7en) Regie David Fincher, 125 Min. Cinemascope

Der Schocker des Jahres

Von Günter H. Jekubzik

Ein neues, erschreckendes Dunkel erfüllt ab Donnerstag die Leinwände. Wie einst Dante von Vergil durch die Kreise des Höllenfeuers leitete, führt David Fincher mutige Zuschauer auf die Spuren eines teuflischen Mörders. Der Wahnsinnige bestraft die sieben Todsünden an ausgesuchten Sündern unserer Zeit. Zwei Polizisten müssen ihre Gedanken mehr als ihre Revolver bewegen, um weitere Gemetzel zu verhindern. Dante heißt heute David Mills (gespielt von Brad Pitt aus "Legenden der Leidenschaft") und den Vergil-Part hat William Somerset (Morgan Freeman, "Die Verurteilten").

David Fincher, der mit "Alien3" debütierte, liebt es offensichtlich, seinem Publikum Gewalt anzutun. Die Hoffnung auf gepflegte Unterhaltung mit dem gutaussehenden Star Brad Pitt macht er gerne zunichte. Die "Sieben" Morde sind mit Abstand das Gemeinste, was in den letzten Jahren fürs Kino bedacht wurde - Andrew Kevin Walker heißt der merkenswerte Autor. Ein rekordverdächtig Fetter wird zu Tode gestopft, der Habsüchtige Anwalt Gould (!) muß sich eigenhändig besch(n)eiden, ein weiteres Opfer erlebt genau ein Jahr lang höllische Qualen. Die Macher scheuten nicht den Vergleich mit dem damals sensationellen Thriller "Das Schweigen der Lämmer": Sie weisen im Film frech auf Jodie Foster hin. ("Jodie Foster zwang mich es zu tun.")

Wie in Dantes Inferno fällt Dauerregen im Grau einer Stadt, die untergründig knarrt wie ein sinkendes Wrack. Sie ist ein verlorener Sündenpfuhl, ihre Tatorte sind so düster, daß sich jede wichtige Figur mit einer Taschenlampe zusätzlich beleuchten durfte. Wie ein langsamer Strudel saugen Handlung, Geräuschkulisse und das düstere Design das Publikum auf. "Sieben" ist ein ganz außerordentliches Kunstwerk, daß lassen schon der scheinbar in Film gekratzte Vorspann oder der orthographisch ungewöhnliche Originaltitel "Se7en" ahnen. Jedes Detail stimmt. Die literarischen und anderen kulturellen Verweise sind Legion. Wenn am Bildrand (Fire-) "Escape" steht, sollten die Detectives tatsächlich schleunigst die Flucht ergreifen. Denn gegen John Doe ist Hannibal Lector aus "Schweigen der Lämmer" ein netter, alter Onkel.John Doe - diesen Namen tragen in den USA nicht identifizierbare Verletzte oder Tote. So ist dieser Serienkiller ein Mann ohne Eigenschaften, der sich mit einem mörderischen Kunstwerk unsterblich machen will. Dieses Motiv für eine Mordserie - als Künstler in der Serie mit Andy Warhol - bietet "Sieben" selbst an: Am ersten Tatort steht eine Reihe von Spaghetti-Dosen im Regal - die von Warhol kopierten Campbell-Suppen wären zu deutlich gewesen.

Das bietet sich allen, deren Magen die volle Distanz durchsteht. Denn das Meisterwerk ist nicht nur eindrucksvoll und beunruhigend, es ist auch abgrundtief pessimistisch und extrem unappetitlich. Nach dem nicht besonders hoffnungsvollen Ende setzen sich die tagelangen Nachbeben mit der Frage auseinander, wozu das alles gut sein soll. Stimmt es, was John Doe sagt: "Wenn man heute jemanden erreichen will, reicht es nicht mehr aus, ihm auf die Schulter zu tippen. Dazu braucht man schon einen Vorschlaghammer." "Sieben" wäre dann allerdings ein feinst ziseliertes Schlagwerkzeug.

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Die sieben Todsünden kehren sich auf ausgesucht gemeine Weise gegen ihre eigenen Sünder. Schönling Brad Pitt und Senior Morgan Freeman sammeln als Polizisten die Opfer des perfidesten Serienmörders seit langem ein. Abgrundtief düster in der unglaublichen Handlung und beim ausgezeichneten Stil, ist "Seven" ein bitterer Filmgenuß.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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