Kafka

USA, Regie Steven Soderbergh

Von Günter H. Jekubzik

Im Prag des Jahres 1919 hetzt ein Mann durch nächtliche Schatten und Nebel. Doch sein tierhafter Verfolger stellt und ermorden ihn auf grausame Weise. "Kafka" als genregerechter Krimi? Schon hier werden all die Literaturwissenschaftler, die sich mit dem Buch auf den Knien in den neuen Film von Steven Soderbergh verirrt haben, aufschreien.

Zwar tront in den Bildern drohend "Das Schloß" über der Stadt, doch zuerst geht es um Kafkas verschwundenen Kollegen, restriktive Polizisten und Bürovorsteher sowie um eine anarchische Verschwörergruppe mit der schönen Gabriela (Theresa Russell) als Anführerin.

Steven Soderbergh, dem schon mit "Sex, Lies & Videotapes" ein unabhängig produzierter, amerikanischer Film mit europäischer Charaktertiefe gelang, schuf mit "Kafka" einen hervorragenden "europäischen Film", in dem zwar die Hauptfigur Kafka genannt wird, sie aber nicht Franz Kafka ist. "Der Film ist nicht über sein Leben, sondern über die Themen, die er entdeckte", sagt Soderbergh. Der Regisseur scheint sich sogar über zu literarische Interpretationsversuche lustig zu machen, indem er den Figuren immer wieder hervorgehoben Zitate oder Anspielung in den Mund legt, die alle ohne bibliophilen Ernst beschmunzelt werden können. Diesmal ist die Nachricht für das Schloß ein Bombenkoffer. Als Kafka im Grab verschwindet - nur um über diesen Geheimgang ins Schloß zu gelangen - gibt er seinem Fan, dem Grabsteinmetz Bizzlebek (Jeroen Krabbé), den historisch verbürgten Auftrag, all seine Schriften zu verbrennen. In dem schwarz-weißen Kunstwerk "Kafka" vermischen sich literarische und autobiographische Elemente mit filmischen Meisterstücken. Mit den Namen Dr.Murnau und Orloc verweist der junge Soderbergh explicit auf die deutsche Filmgeschichte - genauer, auf Murnaus "Nosferatu". Joel Grey erinnert als Büroaufsicht Burgel deutlich an Anthony Perkins in den ästhetisch ähnlichen gestalteten Hallen von Orson Welles "Prozeß". Die Thematik der Unterdrückung und Manipulation von Individuen im Dienste der Wissenschaft und Herrschaft erinnert vor allem in den angedeuteten Folterszenen an Terry Gilliams "Brazil".

Jeremy Irons ist mit seinem mal maskenhaften, mal verwirrten und dann wieder entschlossenen Mienenspiel die ideale Besetzung für die Rolle des Kafka. Unter den vielen europäischen Darstellern faszinieren selbst die kurzen Auftritte Armin Müller-Stahls. Er bereichert seine Figur Kommissar Gruber mit kleinen Raffinessen, Spleens und Handbewegungen. Sein Zupfen an Kafkas Kleidung ist zu nahe, zu direkt. Sein verstecktes Pfeifen wirkt hinterhältig.Durch Kafkas Assistenten bei der Versicherungsanstalt gelangt Slapstick in die ansonsten spannende, mysteriöse und schnell erzählte Geschichte. Auch kleine Anspielungen der neueren Filmgeschichte ließ sich Soderbergh nicht entgehen: Irons, der in Cronenbergs Horrorklassiker "Die Unzertrennlichen" selbst Zwillinge spielte, bemerkt ganz nebenbei gegenüber seinen Zwillings-Assistenten, wie horrend doch so ein Doppelleben sein müsse.Das faszinierende an "Kafka" ist das perfekt gelungene Wechselspiel von phantastischer und realistischer Handlung vor einer Architektur, die die düstere Stimmung nicht überwiegen läßt. Soderbergh schuf keine der üblichen Literaturverfilmungen, da er zeit- und filmgemäße Übertragungen fand. Wenn von der Leiche des Kollegen Eduard Raban auf einen anderen Wagen mit einem Haufen von Aktenordnern geschnitten wird, ist jedem die Bedeutung von Karteileichen und Aktenbergen im Prozeß auch heutiger Verwaltungen klar.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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