Hunger - Sehnsucht nach Liebe

BRD 1997 (Hunger) Regie Dana Vávrová, mit CatherineFlemming, Kai Wiesinger, Christiane Hörbiger u.a., 97 Min.

Jung, schlank, erfolgreich - Laura (Catherine Flemming) ist derTraumtyp einer Großstadtfrau um die Dreißig. Aber siehortet in Küche und Büro Lebensmittel,stopftunglaubliche Mengen Schokoriegel, Würstchen oder was sonsterreichbar ist in sich rein und kotzt alles gleich wieder aus.Laura hat Bulimie. Nur ihre Mutter (Christiane Hörbiger)weiß Bescheid, doch zusammen reden sie eher über Urlaub,neue Kleider usw. - haarscharf dran vorbei halt. Auch Simon (KaiWiesinger), ein Graffiti-Sprayer mit dem Laura zusammenarbeitet,sollte nichts von ihrer Krankheit erfahren. Dann bricht die Liebezwischen den beiden aus und zwingt die hin und her gerissene Laura zuschizophrenen, für Simon völlig unverständlichenVerhaltensweisen.

Daß die Zuschauer Laura und die Menschen um sie herum sehrwohl verstehen können, daß sie mitfühlen UNDmitdenken dürfen, ist der größte Verdienst diesesFilms. So tritt der Zuschauer ein in Lauras schreckliche Kluftzwischen dem Bedürfnis nach Liebe und dem Gefühl, nichtliebenswürdig zu sein. Schon die das zwanghafte Fressen, dasgierige Verschlingen von süßem, saurem, fettigem Zeugs istekelhaft. Das zwangsläufige Übergeben direkt danach machtsehr verständlich, daß sich Laura nicht selbst liebenkann. Sie will keine Bilder ihres Körpers - weder die von Simongemalten noch die eines Spiegels. Der Film geht mit der Frage nachGründen immer wieder zurück in Lauras Vergangenheit. ZumTod des geliebten Bruders, zu einer Abtreibung. Aber "Hunger" bietetkeine Erklärung an, simplifiziert nicht die komplexe, scheinbarunlösbare Situation.

"Hunger" macht eine weitgehend verschwiegene Krankheit unsererGesellschaft öffentlich. Neben diesem Verdienst ist es auch einintensiver, packender, guter Film. Auf schöne, sorgfältigeWeise arbeiten hier Licht, Farben, Kamera und Ausstattung an derGeschichte mit. So ist Lauras Wohnung auffällig kalt undnüchtern eingerichtet, der Tisch zieht in einer Spiralbewegungnach unten. Catherine Flemming bietet (nach einigen TV-Rollen wie "Umdie Dreißig") eine sehr sympathische Entdeckung für dasKino, die Joseph Vilsmaier nicht ganz zu Unrecht die "MichellePfeiffer von Deutschland" nennt. Kai Wiesinger steht seine Rolle sehrgut. Die klare, direkte Art, mit der Simon Laura fordert, erscheinthart und rücksichtslos, aber auch als die einzige Lösung.

"Hunger" ist zwar das Regiedebut von Dana Vávrová,doch trotz ihrer jugendlichen Ausstrahlung brachte die 1967 in Praggeborene Schauspielerin eine Menge Erfahrungen mit. Bereits alsTeenager stand sie in der Tschechoslowakei vor der Kamera. Sie spieltseit ihrer Rolle in "Herbstmilch" (1988) beruflich und privat mit demRegisseur Joseph Vilsmaier zusammen. (Ihre letzten Kinoarbeiten sind"Stalingrad","Schlafes Bruder" und"Comedian Harmonists".) Das Thema von Hunger begegnete ihr zuerst alsSchauspielerin. Doch als sie selbst ein Treatment weiterentwickelte,wollte sie schließlich auch "ihren" Film daraus machen. Zentralstand für Dana Vávrová dabei immer "eine jungeFrau, die sich nach Zärtlichkeit und Nähe sehnt, damit aberein großes Problem hat, das sie nicht bewältigen kann. DasKrankheitsbild oder der Krankheitsverlauf haben mich dabei nieinteressiert."

So bleiben auch weiterführende Überlegungen zur Bulimieim Hintergrund: Das große Plakat mit Miederwerbung von Triumph,wurde es bedeutungsvoll ins Bild gesetzt? Während der Hunger inÄthiopien den Freßorgien gegenübergestellt wird,erwähnt niemand den oft tödlichen Verlauf von Bulimie beijungen Mädchen.

Der Vergleich zu"Jenseits derStille", dem anspruchsvollen Erfolgsfilm des letzten Jahres istübrigens sehr naheliegend - selbst die Name der Hauptfigurenähneln sich! Für Insider: Nicht nur im Hintergrund dieserProduktion setzte sich Christoph Ott vom Verleiher Buena Vistamächtig für diesen Film ein. Als einer Art Dionysos tritter in Lauras Tagträumen auf.

Günter H. Jekubzik


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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