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Abschluß-Bericht Cannes 1999

Cannes. Erneut hat es eine Cannes-Jury geschafft, alle zu überraschen: Das allgemein favorisierte Mutter-Melodram "Todo sobro mi madre" von Pedro Almodovar erhielt nur den Regiepreis, während fast alle Hauptpreise der 52. Internationalen Filmfestspiele von Cannes an zwei kompromißlose Sozialdramen gingen. Die goldene Palme erhielt bei einer bewegenden Preisverleihung am Sonntagabend "Rosetta", das erschütternd intensive Porträt eines jungen Mädchens, daß verzweifelt versucht, einen Job zu bekommen, um nicht noch mehr ins Elend abzurutschen. In ihrem engen Campingwagen kümmert sich Rosetta um die alkoholkranke Mutter, die sich für einen Schluck immer wieder dem schmierigen Platzwart hingibt. Mit energisch gesenktem Kopf und stolzem Herz verrichtet das Mädchen die vielen kleinen Dinge, die Armut verheimlichen oder ihm Anstand geben sollen. Aber sie verrät ihren einzigen Freund, nur um dessen Stelle in einer Kaffebude zu übernehmen. Emilie Dequenne erhielt für diese Rolle den Preis als beste Darstellerin.

Diese sehr ehrliche Geschichte der Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne aus dem wallonischen Lüttich ist symptomatisch für einige belgische, sozial aufmerksame Filme der letzten Zeit. Die hautnahe Handkamera und viele kluge Details machen "Rosetta" ebenso beklemmend wie spannend.

Regional und stilistisch verwandt ist der andere große Gewinner von Cannes 1999 "L'humanité" aus dem Norden Frankreichs. Bruno Dumont erhielt für seine Geschichte des einfachen Polizisten Pharaon De Winter (Emmanuel Schotté) den Großen Preis der Jury, den männlichen und - ex aequo - den weiblichen Darstellerpreis (an Séverine Caneele). Schon in seinem Vorgängerfilm "La vie de Jesus" verband Dumont eine packende, bodenständige Personage mit großen Kinobildern.

In einem Festival, das für Cannes-Verhältnisse wenig Super-Stars über seinen roten Teppich schicken konnte, überzeugten die Filme der letzten Tage, die friedliche, gradlinige "Straight Story" von David Lynch oder die fein geschliffene Oscar Wilde-Verfilmung "An ideal husband" von Oliver Parker. Peter Greenaway ist mit seiner Männerphantasie "8 1/2 Women" nicht mal mehr ein Schatten seiner früheren Kunst. Die Sensation des Festivals lief leider außerhalb des Wettbewerbs: Kevin Smiths ("Chasing Amy") genialer "Dogma" erzählt wie zwei verstoßene Engel einen logischen Fehler in Gottes Schöpfung entdecken, der alle Existenz auslöschen würde. Eine Frau, die entfernt mit Jesus verwandt ist, aber seit einer Weile Schwierigkeiten mit dem Glauben hat, soll jetzt mit sehr originellen Gehilfen die Schöpfung retten. "Dogma" läßt Göttin (Alanis Morrissette) mit dem ordinär geilen Jay zusammentreffen, theologische Spitzfindigkeiten humorvoll betrachten und ganz ernste Glaubensfragen mit pubertären Scherzen einhergehen.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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