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Cannes 1999/5

Cannes. Die Papierform war gut, aber zum Ende des 52. Internationalen Filmfestivals von Cannes scheint es, daß Namen doch nicht alles sind. Selten war der Wettbewerb eines Festivals in den letzten Jahren nominell so gut besetzt wie 1999. Von "A" wie Almodovar bis "W" wie Winterbottom waren die Regisseure der 22 konkurrierenden Filme unter Cineasten mindestens einen freudigen Augenaufschlag wert. Und verstorbenen Größen wie Alfred Hitchcock oder Douglas Sirk wurden in den Filmen von Atom Egoyan und Almodovar gehuldigt. Doch kurz vor Ende des Festivals, das am Sonntag abend die Gewinner der Goldenen Palme und die weiteren Preisträger verkündet, ist die Begeisterung verschwunden. Einige überraschende Entdeckungen hätten dem Filmreigen wohl mehr Schwung gegeben als nur gute Bekannte. Frische Bilder und ungewöhnliche Filmstile kamen wieder meist aus Asien. Leo Carax ließ zwar bei "Pola X" eine eindrucksvolle Filmsprache aufblitzen, redete aber ansonsten nur schwülstig ins Leere. Das inflationäre gewordene Spiel mit vielen, mehr oder weniger verbundenen Personensträngen gelang seltenst.

Marco Bellochios "La Balia" (Die Amme) war der Höhepunkt der letzten Tage: Eine Geschichte von Luigi Pirandello sehr fein und gefühlvoll ins Bild gesetzt. Zu Anfang unseres Jahrhunderts gerät ein wohlhabendes, bürgerliches Ehepaar durch die Geburt ihres Kindes in eine physische und psychische Krise. Eine Amme kommt ins Haus und vertreibt die zwischen Ablehnung und Zuneigung zum Kind zerrissene Mutter (Valeria Bruni Tedeschi) unwissentlich. Dabei mußte Annetta für diesen Broterwerb ihren eigenen Säugling verlassen. Im Hintergrund versuchen sozialistische Revolutionäre, denen auch die Amme nahesteht, gegen die brutale Staatsmacht aufzutreten. Mit sehr genauem Spiel der Emotionen und wirkungsvollem Musikeinsatz gelang es dem allgemein hochverehrten Italiener Bellochio, Leben und Anteilnahme in den Kostümfilm zu bringen.

Mit noch einer Handvoll Filmen auf der Warteliste wird es die internationale Jury nicht einfach haben. Ihr Präsident David Cronenberg hatte seine Kollegen - u.a. Doris Dörrie, Holly Hunter und Jeff Goldblum - in Interviews zur Ablehnung nationaler Seilschaften aufgerufen. Jetzt ein kanadischer Landsmann, Atom Egoyan mit "Felicita's Journey", unter den großen Favoriten. Doch Cronenberg zeigte in jedem seiner Filme, daß er keine Angst vor Provokationen und heftigen Reaktionen hat.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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