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Cannes-Eröffnung

Eröffnung feiern. Stars und Filme feiern. Feiertage feiern. Preise feiern. Cannes im Mai ist ein Filmfest und läßt sich beim Feiern nicht gerne und nicht allzu schnell stören. Ein paar Demonstranten irritierten zwar am Mittwoch den ersten der allabendlichen Prominentenauftriebe über den roten Teppich, die berühmten Treppen hoch in den Festivalpalast. Aber besondere Reaktionen auf naheliegende Kriege sind von Festivalseite beim 52. Internationalen Filmfestival von Cannes (12. - 23. Mai) nicht zu vernehmen. (Filmfestival ist so was wie Moderner Krieg: Man zeigt täglich Filme, die möglichst einschlagen sollen und kommentiert sie danach.) Die Retrospektive von Cannes 1999 hätte kurzfristig auch "Krieg und Frieden" lauten können. Sie ist aber zeitlos schön dem Liebesfilm gewidmet! Direkte politische Stellungnahme war in den letzten Jahren noch nie die Stärke Cannes. Und wieso sollte eines der größten Medienereignisse der Welt auch auf Konkurrenten wie den "Kosovo-Konflikt" hinweisen? Der Tod eines guten Regisseurs oder Schauspielers wird offiziell betrauert, bei Frauen tritt dieses Ereignis anscheinend seltener ein. Der Tod normaler Menschen spielt nur auf Film eine Rolle, wenn er von dem noch lebenden Teil der Schauspieler hingelegt wird.

So bemühte sich das Festival besonders intensiv, mit leiblichen und thematischen Sicherheitskontrollen die Politik draußen zu halten und doch tanzte ihnen schon im Eröffnungsfilm ein russischer Regie-Zar auf der Nase herum. Nikita Michalkov sehnt sich im "Barbier von Sibirien" nach guten alten Zeiten Rußland zurück. Damals gab es noch schöne Romantik, echte Kameradschaft und vor allem einen Zaren! Die Liebe einer jungen Amerikanerin zu einem Offiziersanwärter in Moskau spielt vor der letzten Jahrhundertwende. Um eine wahnsinnige Maschine, die in Sibirien automatisch Bäume wie Haare scheiden soll - der "Barbier von Sibirien" - entspannt sich eine Intrige und schließlich eine Liebe mit tragischem Ausgang. Das ebenso üppige wie konservative Drei-Stunden-Epos wurde erst richtig spannend, weil Michalkov sich als möglichen Kandidat für das Amt des russischen Präsidenten in Spiel brachte. Daß der Regisseur von "Urga" oder "Schwarze Augen" die Russen als sehr kultiviertes Volk darstellt - immer wieder fließen literarische und musikalische Zitate mit ein, während ein amerikanischer Offizier Mozart nicht kennt - schön und gut! Daß jedoch Michalkov selbst, den Zar spielend, populistisch auf Stimmenfang beim hochgelobten russischen Soldaten geht, ist äußert seltsam. Die USA hatten zwar schon mal einen (Profi-) Schauspieler als Präsidenten, aber da war die Situation des Landes etwas stabiler. Michalkov, dessen Familie auch dem Herrschaftskreis von Stalin nahestand, zeigt unter anderem auch einen kräftigen General, der seinen Wodka-Genuß nicht unter Kontrolle hat. Denkt da jemand an Jelzin?.

Gute alte Zeiten würdigte man auch bei einer Ehrung für Sean Connery. Aber warum zeigte man bloß einen schlechten, neuen Film dazu? Die Versicherungsfrau Gin umgarnt "undercover" den berühmten Meisterdieb Mac, gesteht, selbst eine Kunstklauerin zu sein und reizt Mac zu größeren Beutezügen. Als einer von vielen Filmen, die das neue Millenium feiern, greift "Verlockende Falle" auch den "Millenium Bug" als Handlungselement auf. So fehlerhaft wie die Berechnung des Jahrhundertendes sind extrem viele Elemente des schwachen Starvehikels. Star ist dabei Einzahl, da nur Sean Connery eine Ahnung von seiner Ausstrahlung verspüren läßt. In Zeiten von Lara Croft spielt Catherine Zeta-Jones ("Die Maske des Zorro") eine angebliche Meisterdiebin als völlig harmloses Mäuschen ohne Charisma. Sie wirkt meist wie ein Double für ihre eigene Rolle. So muß auch die Verhältnis von Gin und Mac völlig steril bleiben. Um die beabsichtigte Verbindung zu "Über den Dächern von Nizza" richtig zu beschreiben, müßte der Film "Auf einem Flachdach in Asien" heißen.

Regisseur Jon Amiel, der sich mit der TV-Serie " The Singing Detective" sowie mit den außerordentlichen Filmen "Queen of Hearts", "Aunt Julia and the Scriptwriter" und "Sommersby" einen guten Namen machte, enttäuscht nach dem Thriller "Copykill" und der schwachen Parodie "The Man Who Knew Too Little" erneut.

Ebenso entäuschte Leo Carax, seit "Die Liebenden von Pont-Neuf" das französiche Regie-Wunderkind. Mit viel Geld und Szenerien - unter anderem auch aus NRW - läßt er Söhnchen Depardieu, Vorname: Guillaume, als jungen Dichter den Bach runtergehen. Eigentlich aus gutem Hause, schmeißt der Autor bisheriges Leben und die Verlobte weg, um mit einer verheimlichten Schwester in einen obskuren jugoslawischen Untergrund einzutauchen. Wie gewohnt rennen die Figuren von Carax anfangs kraftvoll durch ebensolche Bilder um verstümmelt und verstört am Ende von ganz großen Gefühlen anzukommen. Da mag sich zusammen mit traumatisierten Jugoslawien-Flüchtlingen noch ein Sinn finden lassen, aber die verquarkte Künstlerkrise in unerträglich gesetzten Texten ist schwer erträglich. Mal sehen, was die Franzosen jetzt zu Carax sagen. Der Film lief zeitgleich mit der ganz groß gefeierten Cannes-Premiere im ganzen Land an.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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