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Der Wettbewerb

Morgen abend endet das 51. Internationale Filmfestival von Cannes. Gelaufen sind dann über tausend Film aller Art sowie mehr als 5000 Festivalbesucher viele Kilometer durch den gigantischen Festivalpalast, die Croisette entlang und von einer Party zur nächsten. Obwohl mit dem Griechen Theo Angelopoulos und seinem neuen Opus "Mia eoniotita ke mia mera" (Die Ewigkeit und ein Tag) am Samstag noch ein Cannes-Liebling aussteht, sah der Wettbewerb schwächer aus als im Jubiläumsjahr 1997.

22 Spielfilme liefen im Wettbewerb, der wie gewohnt ein Wiedersehen ausgezeichneter Cannesteilnehmer vergangener Jahre, also nicht gerade eine Talentschau war. Nur fünf Neulinge verzeichnete das Hauptprogramm, dafür neun ehemalige Gewinner der Goldenen Palme mit unter anderem Angelopoulos, Ken Loach, Lars von Trier oder John Boorman.

Mit am wildesten gebärdeten sich der Däne Lars von Trier und seine "Idioten": Eine Gruppe junger Leute will "den Idiot in jedem selbst herauslassen", spielt in der Öffentlichkeit und in einem Landhaus außerhalb Kopenhagens behindert. Wenn seine Filme eine Moral hätten, dann würden die "Idioten" die Mißachtung von Behinderten bloßstellen, meint von Trier. Doch richtig ernstnehmen sollte man weder diese Aussage noch den mit kleinem Budget und viel Einsatz der Darsteller gedrehten Film. Auch dieser dänische Wettbewerbsfilm ist - wie "Festen" von Thomas Vinterberg - Teil der Dogma-Aktion, die auf viele filmische Mittel wie Kunstlicht, Filter oder Filmmusik verzichtet. Trotz diesem und der irritierenden Handlung lassen einen die "Idioten" nicht los.

Das Spiel der tatsächlich behinderten Heather Rose in "Dance me to my song" von Rolf de Heer gehört zum Außergewöhnlichsten des diesjährigen Festivals. Sie schrieb sich - zusammen mit dem Regisseur - selbst die Geschichte von Erniedrigung durch eine schlampige Betreuerin, von der allmählichen Annäherung an einen unbekannten Fremden und von der lebensbedrohlichen Eifersucht zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen. Nur mit einem Sprachgenerator kann sich Rose (so Heathers Rollenname) verständlich machen. Die notwendige Tastatur wird von der Pflegerin meist vom elektrischen Rollstuhl abmontiert. Der verstörende Anblick einer konstant verrenkten Frau nackt im Bett und auf der Toilette, die krampfigen Bewegungen, die endlos lange nicht zum Ziel kommen, weichen im Verlauf des ungemein packenden Films einem genaueren Blick auf nachempfindbare Mimik, auf deutlich erkennbare Freude und Wut.

Bei Hal Hartleys "Henry Fool" muß man sich fragen, ob die Entwicklung des Müllkutschers Simon zum Nobelpreisgewinner für Literatur banaler und realistischer ausfällt als die Vorgänger "Simple Men", "Amateur" oder "Flirt"? Oder reflektieren die Ansichten von Simons radikalen Mentor Henry Fool die Filmkunst im Allgemeinen und den eigenen Film im Speziellen? "My name is Joe", Ken Loachs erneuter Kameraeinsatz für die Arbeitslosen, Alkoholiker und Armen der britischen Gesellschaft überzeugt durch soziale Aufrichtigkeit. Ob John Boormans "Der General", der wie eine irische Variante von Scorseses Mafiafilmen wirkt, eben diesem Jurypräsidenten Martin Scorsese besonders gefallen hat? Oder wird wie im Vorjahr einer der schwer genießbaren Kunstfilme den Kinofilmen vorgezogen?


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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