Berlinale 2002

Festivalberichte von Günter H. Jekubzik und Oliver Schiffers


Die 52. internationalen Filmfestspiele in Berlin
8. - 17. Februar 2002

Berlinale Preise


Berlin. Eine in vieler Hinsicht erfreuliche und neue Berlinale sorgte beider gestrigen Preisverleihung für überraschungen. Der brave Nordirland-Politfilm"Bloody Sunday" und der außergewöhnliche Zeichentrickfilm "SpiritedAway" aus Japan teilen sich den Goldenen Bären der 52. InternationalenFilmfestspiele. Dieter Kosslick, bislang Leiter der Filmstiftung NRW undneuer Festivalchef, gab dem Festival neue Qualitäten und erntete beiseiner Premiere viele Sympathien.

Es entspricht der für Neues aufgeschlossenen Berlinale 2002, dass dieInternationale Jury unter Leitung der indischen Regisseurin Mira Nair ("SalaamBombay") einen modernen Zeichentrickfilm mit dem Hauptpreis bedachte. RegisseurHayao Miyahaki erzählt in "Spirited Away" vom Mädchen Chihiro,das mit ihren Eltern in eine andere Stadt zieht. Aus dem vermeintlichen Freizeitparkwird jedoch in der Dämmerung eine Geisterstadt und ein fantastischesReich eröffnet sich: Eine wilde Mischung aus riesigen "Pokemons", Aliceim Wunderland und Lara Croft. In einem Badehaus für 8000 Göttermuss sich Chihiro als einziger Mensch unter Geistern und Magiern bewähren.

"Sen to chihiro no kamikakushi" - so der Originaltitel - war in Japan dererfolgreichste Film aller Zeiten. Hayao Miyahaki, der auch schon mit demVorgänger "Prinzessin Mononoke" in Berlin war, ist ein Superstar, derimmer wieder ökologische Themen ganz ernsthaft aufnimmt. Mit dem GoldenBären werden Avantgarde-Trends der blühenden japanischen Unterhaltungsindustrieauch für uns erwachsen. Tatsächlich sorgte Japan vor allem in denNebensektionen für die frischesten Impulse.

Der Ex Aequo-Sieger "Bloody Sunday" klagt das Massaker an friedlichen nord-irischenDemonstranten 1972 in London-Derry an. Regisseur Paul Greengrass richtetin seinem ebenso braven wie gerechten Protokoll der Ereignisse die Kamerasehr konventionell gegen die Mörder unter den britischen Soldaten. (Wirberichteten)

Mit dem Silbernen Bären für "Halbe Treppe" von Andreas Dresen wurdenicht nur die lebensnah inszenierte Alltagsgeschichte eines Seitensprungsin Frankfurt/Oder prämiert, auch der in Wettbewerb und anderen Sektionenmarkant vertretene deutsche Film verdiente sich eine solche Würdigung.Der immer starke französische Film bekam den Regiepreis und den Preisdes Internationale Kritikerverbandes FIPRESCI für das süffisanteAltherren-Vergnügen "Lundi Matin" vom renommierten Regisseur Otar Iosseliani.Die Darstellerpreise gingen an Halle Berry für ihre ergreifende Mutterrolleim Favoriten "Monsters Ball" und an Jacques Gamblin in der umstrittenen französischenFilm-Geschichte "Laissez-Passer".

Der Höhepunkt des letzten Berlinale-Wochenendes war der Auftritt vonHarvey Keitel mit seinem Film "Taking Sides". Kein nationales Filmfestivalweltweit beschäftigt sich wie die Berlinale mit seiner Landesgeschichte.Sie ist in Sichtweite des Reichstages im wahrsten Sinne "nahe liegend". Ganzim Geiste des Festivals rollte der renommierte Regisseur Istvan Szabo in"Taking Sides" den "Fall Furtwängler" auf. Sein Ankläger, MajorArnold (Harvey Keitel), ist der Meinung, alle Deutschen waren Nazis, manmuss es ihnen austreiben und befragt dementsprechend hart den von allen verehrten,ja vergötterten Dirigenten Dr. Furtwängler.

Im Zentrum von Arnolds Untersuchung steht die Frage, wie ein Mensch in diesemDeutschland bleiben, wie man für die Nazi spielen konnte. "Ist Kunstunabhängig von Politik denkbar und moralisch vertretbar?" - diese Fragewird in den Verhören und Diskussionen spannend dramatisiert. Szabo erfasstdie Spannweite von Verführung durch Macht bis zur Naivität einesselbst zentrierten Genies. Die Bedeutung des Films machte Szabo in der Pressekonferenzdeutlich, indem er in einer angeregten Diskussion die Gewissensfrage aufjede andere Terrorregime übertrug. So war "Taking Sides" ein wichtigerEckpfeiler eines gelungenen Festivals zwischen lebendiger Vergangenheit undspannender Moderne.