Berlinale 2002

Festivalberichte von Günter H. Jekubzik und Oliver Schiffers


Die 52. internationalen Filmfestspiele in Berlin
8. - 17. Februar 2002

Historische Fragen

RAF und Nazi-Mitläufer im Wettbewerb

Kein nationales Filmfestival weltweit beschäftigt sich derart mit seiner eigenen Geschichte wie die Berlinale. Es ist - fast in Sichtweite des Reichstages und vieler anderer historischer Stätten - auch tatsächlich naheliegend, über Judenverfolgung, Krieg, Anpassung oder Widerstand filmisch nachzudenken. Im Finale der 52.Berlinale gab es historische Fragen in großartiger und unsäglicher Form

Der renommierte Regisseur Istvan Szabo beschäftigt sich in "Taking Sides" mit dem "Fall Furtwängler": Prachtvolle Musik erklingt im Berliner Dom. Der Dirigent Dr. Furtwängler lässt selbst  bei Bombenalarm weiter spielen. In der nächsten Szene wird unter amerikanischen Offizieren abgesprochen, dass ein Exempel an diesem Prominenten statuiert werden soll. Szabo kommt schnell zur Sache. Sein Ankläger, Major Arnold (HarveyKeitel auch als Gast in Berlin), ist der Meinung, alle Deutschen waren Nazis,man muss es ihnen austreiben. Dementsprechend hart geht er mit dem Künstler ins Gericht, der von allen anderen verehrt, ja angehimmelt wird. Die Russen wollen ihn sogar gegen ein ganzes Orchester eintauschen. Doch im Zentrum von Arnolds Untersuchung steht die Frage, wie konnte ein Mensch in diesem Deutschland bleiben, wie konnte man für die Nazi spielen. Die Fragenach Kunst oder Politik, beziehungsweise, ist Kunst unabhängig von Politik denkbar und moralisch vertretbar, wird in den Verhören und Diskussionen spannend dramatisiert. Szab— erfasst die Spannweite von Verführungdurch die Macht bis zur Naivität einer selbstzentrierten Kunst, diebeispielsweise auch Klaus Theweleit in seiner Analyse Gottfried Benns aufzeigt.Es bleibt ein 'Aber'. Egal von welcher Position aus man startet, es bleibenFragen offen.

Mit "offenen Fragen" versuchte ein anderer Film seine Geschichtslosigkeit zu verstecken. "Baader" ist ein handwerklich gut gemachtes, gut gespieltes hirn- und historienloses Machwerk, dass RAF-Geschichte ausbeutet, um einer auf Popkultur getrimmten Räuberballade Gewicht zu geben. Frank Giering ist als RAF-Terrorist Andreas Baader dabei cool, unverschämt, rücksichtslos. So ein richtig klasse Filmtyp wie Belmondo oder Eastwood - wäre danicht noch eine andere Geschichte. Die Kultfiguren von Regisseur Roth gefallen sich im lasziven Labern, scharfes Analysieren, das der RAF eigen war, wäre wohl uncool. Die von jeder Historizität abgehobene Räuberballade setzt ihrer Unverfrorenheit im Finale die Krone auf, da wird Andreas Baader bei einer Verhaftung erschossen. Soll dies ein Statement zum ungeklärten (Selbst-) Mord von Baader und Mitinhaftierten in Stammheim sein? Fraglich blieb beim tosenden Buh-Konzert im Berlinale-Palast jedenfalls nichts mehr. Nur durch rasches Abtreten konnte der Filmemacher einen Tumult verhindern. Dass Robert Stadlober, das überschätzte und eingebildete Jungsternchen aus "Crazy" als Moderator den Film verteidigen wollte, zeigt die Un-Reife dieses ärgerlichen deutschen Filmchens.