Flucht aus dem Eis
GB/Kan./Australien/Fr. 1992 (Map of the Human Heart) R: Vincent Ward, 104 Min.
Der Neuseeländer Vincent Ward erzählte mit "Vigil" (1984) und "Navigator" (1987) zwei phantastische und gleichzeitig sehr naturkräftige Geschichten. Louis Nowras verfaßte jetzt nach einer Story von Ward das Drehbuch zu "Flucht aus dem Eis", das Ward dann selbst verfilmte.
Die erste Begegnung zwischen Avik und Walter findet in der Luft statt: Aviks Freunde schleudern ihn mit einem Sprungtuch in den Himmel, als ein Flugzeug aus diesem auftaucht. Vor Schreck vergessen sie, Avik aufzufangen, so daß der mit dem Kopf im Schnee der Arktis landet. Eigentlich hätte der Inuit (Eskimo) Avik in der Luft bleiben müssen, denn nach dieser ersten Begegnung mit Walter im Jahr 1931 und nach seinem Transport in ein Montrealer Nonnen-Spital (geleitet von einer wunderbar biestigen Jeanne Moreau), kriegt das Halbblut Avik weder bei seinem Volk noch bei den Weißen einen Fuß auf den Boden. Er hängt zwischen den Kulturen und begeistert sich deshalb den Rest seines Lebens für's Fliegen, das ihm auf einem Fesselballon auch den schönsten Moment des Film schenken wird (und eine der reizvollsten Liebesszenen des Films überhaupt).
Albertine und der kleine Avik lernen sich im Spital kennen und lieben. Sie bleiben für immer durch Röntgenaufnahmen ihrer tuberkulösen Lungen verbunden: Einen Karte des menschlichen Herzens - so lautet die Übersetzung des Originaltitels "Map of the Human Heart".
Es wird noch viele Karten geben, wenn Avik aus Verzweiflung Bomberpilot im 2.Weltkrieg wird und Albertine die bedeutungs- und liebevollen Luftaufnahmen entschlüsselt. Doch die Karte des Films verzeichnet in einer tragik-romantischen Geschichte auch die Klüfte und Risse in der "Karte des menschlichen Herzens". Denn Aviks frühe Bitte an den angeblichen weißen Freund Walter, Albertine die Röntgenaufnahme seines Herzens zu geben, bringt erst Walter und Albertine zusammen und Aviks Herz zum Bluten.
In der weißen Welt des Krieges und des Todes ("Alle Weißen sind Kannibalen," sagt Avik), im Erleben der Halbbluts bei den Briten fließen viele Themen zusammen. Sehr schön sind die wichtigen Symbole und Metaphern durchgearbeitet: Der Spiegel mit seinen Lichtreflexen als Liebeszeichen, das Fliegen Aviks von der ersten bis zur letzten Szene, das Barfuß-Laufen als sehr sinniges Zeichen von Naturverbundenheit des "Halbbluts" Albertine.
Die großen, mythischen Szenen gelangen Ward im Vergleich zu den zwei früheren Spielfilmen eher selten. Doch gibt es noch genug Wunderbares zu sehen: Wenn Albertine in einer Bombennacht auf der Kuppe der Albert Hall tänzelt, ist das nur ein Moment einer schönen kindlichen Liebe zwischen Avik und Albertine. Die Aufnahmen der Bombennacht von Dresden sind so schrecklich, wie die gemeinsamen Liebesszenen schön sind. Besonders wahnsinnig das Ende, das hier leider nicht erzählt wird. Gab es je eine bessere Szene für Ausweglosigkeit und Einsamkeit?
Ach ja, die Darsteller sind auch ganz vortrefflich Jason Scott Lee, der Mogli aus "Dschungelbuch", spielt Avik als Erwachsenen. Die Französin Anne Parillaud ("Nikita", "Bloody Marie") ist als Albertine zu genießen.
Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik
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