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Eyes Wide Shut

USA 1999 (Eyes Wide Shut), Regie und Buch Stanley Kubrick, 155 Min. mit Tom Cruise, Nicole Kidman, Sidney Pollack

Meisterwerke auf Ansage haben's schwer. Schon Jahre vor dem Tod des Regisseurs Stanley Kubrick wurde sein neuestes Werk erwartet und allseits besprochen. Nun ist es da und irritiert weltweit, vom Festival in Venedig bis zu den Kinos in Deutschland.

Vorweg: "Eyes Wide Shut" ist nichts für Skandalnudeln oder FKK-Fans. Wie bei Kubrick nicht anders zu erwarten, sind die inneren Vorgänge die Bewegendsten. Sehr schön machte er das schon bei dem Horror-Klassiker "Shining" klar: Das mühsame Herbeieilen eines möglichen Retters beendet der wahnsinnige Hausmeister (Jack Nicholson) mit einem Schlag. Weg mit den Thriller-Klischees - her mit meinem eigenen Horror.

In exklusiver Umgebung einer Party der High Society New Yorks erhält das arrivierte Ehepaar William und Alice Harford (Tom Cruise, Nicole Kidman) eindeutige sexuelle Angebote. Aber es passiert nichts: Sie ist beschwipst aber treu, er wird als Arzt zu einer Frau mit Überdosis gerufen. Doch der Verdacht einer Untreue führt zusammen mit einem Joint, der die Zunge lockert, später am Abend zu einer heftigen Auseinandersetzung. Der überzogenen, moralischen Reaktion von Alice folgt das Geständnis eines leidenschaftliches Seitensprunges, der sich nur in ihren Gedanken abspielte. Als alle Sicherheiten am Boden zerstört sind, ruft der Tod eines Patienten Bill hinaus in die Nacht.

Es folgt eine zeitweise absurde Serie von sexuellen Spielarten, Angeboten und Verboten. Das absurde Liebesgeständnis einer Tochter im Angesicht ihres toten Vaters berührt peinlich. Die Tochter des gerissenen Kostümverleihers betreibt im Hinterzimmer Sexspiele mit zwei Japanern. Auf der Straße pöbeln Hohlköpfe mit schwulenfeindlichen Sprüche herum. Die Prostituierte Domino lädt Bill zu einem Kaffee ein. Zwischendurch verfolgen ihn Eifersucht-Visionen in Schwarz-Weiß.

In einem Jazzclub trifft Bill schließlich seinen alten Freund Nick, der ihm das geheime Zugangswort für eine besonders geschlossene Gesellschaft verrät. Eine rituelle Orgie mit Weihrauch, versteinerten Maskengesichtern und -küssen stellt den Höhe- und Wendepunkt dar. Die einseitige Männersicht endet mit einem Frauenopfer bevor Bill rausfliegt. Während er durch die Nacht streunte, erlebte Alice im Schlaf einen entsprechend wilden Traum. Völlig irritiert sucht Bill am nächsten Tag nach Erklärungen, versucht die Frau zu finden, die sich für ihn opferte. Dabei wird er immer wieder von Gestalten verfolgt, die seine Neugier bremsen wollen.

Die durchaus packende, atmosphärisch dichte Story lässt auch den Kritiker rätseln. Vielleicht sollte man dazu Arthur Schnitzlers (1862 - 1931) "Traumnovelle" lesen. Die Themen sind deutlich: Das Gegeneinander von traumhafter Realität und sehr wirklichem Traum, das Zusammenspiel von Eros und Tod. Der Titel "Eyes Wide Shut" bezeichnet die im Traum außen geschlossenen, aber nach innen weit offenen Augen: "Augen weit geschlossenen".

Die geheimen Wünsche des Ehepaars äußern sich auf die eine und die andere Weise. Das Ergebnis, nachdem die Masken gefallen sind, ist gleich: Verletzung und Rückzug in die private Kleinzelle.

Zu Tom Cruise wurde erwähnt, dass er mit Maske ebenso ausdrucksvoll wie ohne spiele. Das ist übertrieben, die passive Haltung passt zum Charakter des Beobachters Bill. Nicole Kidman säuselt betrunken, deklamiert die für sie schockierenden sexuellen Wünsche bühnenmäßig und macht Werbung für Unterwäsche. Den erschütternden Schrecken ihrer Träume vermittelt sie eindrucksvoll. Packend ist die Filmmusik: Die spannenden Momente der Seele begleiten so harte, scharfe Pianoschläge, dass man denkt, die Seite zerreißt.

Wirklich überraschend ist es, einen an Bill adressierten Brief in Deutsch zu lesen! Kubrick war einer der letzten Regisseure, der sich die Mühe machte, Zwischenschnitte auf Briefe oder Zeitungen auch für die unterschiedlichen Landesfassungen zu drehen. So schrieb Jack Nicholson in "Shining" für die Deutschen seitenweise immer wieder einen ganz anderen Satz als für die Englischsprachigen.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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