Crying Game

Von Günter H. Jekubzik

"Es liegt in meiner Natur", sagt der Skorpion und tötet den Frosch, der ihn gerade über den Fluß trägt, obwohl dies für den Skorpion selbst den Tod bedeutet. Auch Jody, der schwarze britische Soldat und Gefangene einer IRA-Gruppe, meint, es liege in der Natur seines Bewachers, ihn umzubringen. Die Parabel ist einer der kleinen Tricks, mit denen der dicke, gutmütige Jody (Forest Whitaker) den irischen "Soldaten" Fergus (Stephen Rea) zum Reden bringt. Drei Tage bis zum Ablauf eines tödlichen Ultimatums verbringen sie im nordirischen Gewächshaus-Versteck. Fesselnde Dialoge machen den gesichtslosen Gefangenen - er hat einen schwarzen Sack über dem Kopf - langsam zu einem Menschen, mit Lieblingssport und einer Freundin in London. Der feindliche Besatzungssoldat gehört zudem als Schwarzer selber zu einer unterdrückten Minderheit und eignet sich überhaupt nicht als Objekt des Haßes.

Der Ire Neil Jordan inszenierte mit "Crying Game" seinen siebten Spielfilm. Nach "Angel" und "Die Zeit der Wölfe" wurde "Mona Lisa" mit Bob Hoskins der größte Erfolg des Autors und Regisseurs. Den amerikanisch beeinflußten ""High Spirits" und "Wir sind keine Engel" (mit Robert DeNiro) folgte im letzten Jahr ein Meisterwerk der komplexen Leichtigkeit, "The Miracle".

In "Crying Game" überrascht Jordan am Morgen der geplanten Hinrichtung mit der ersten von zwei Wendungen, die seinem Helden eine vollkommen neue Sicht des Lebens aufzwingen und dem Publikum plötzlich einen ganz anderen Film zeigen. Die nicht besonders intelligent agierende britische Armee befreit indirekt den Falschen und Fergus taucht in London unter. Widerstrebend läßt er sich von Jodys Freundin Dil (Jaye Davidson) fesseln, für ein gewiße Zeit entspannt sich ein Liebesfilm. Der lange Arm der IRA sorgt für neue Konflikte, aber erst als Neil Jordan alle Hüllen fallen läßt, ist eine Überraschung perfekt, die auf ausdrücklichen Wunsch des Regisseurs nicht verraten werden soll.

Ein amerikanischer Kritiker verglich "Crying Game" mit einer Zwiebel und man kommt tatsächlich nicht drumherum, das bereits Gesehene nach jeder neuen Entwicklung noch einmal zu überdenken. Fergus überwindet dabei die Grenzen seines Nationalismus, Rassismus und Sexismus, obwohl diese gar nicht übermäßig ausgeprägt waren. Die Gebiete dahinter sind das Abenteuer von "Crying Game", der hinter seiner hervorragend erzählten Fassade eine Menge gesellschaftlichen Sprengstoff offenlegt. Dabei ist diese interessanteste Erstaufführung dieser Woche (Diana, 19.45 Uhr) ebenso mitreißend wie verstörend und wird sich nicht nur durch "The Crying Game", den Titelsong mit Ohrwurm-Qualitäten nachhaltig einprägen.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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