Amélie

FR/BRD 2001 (Le fabuleux destin d' Amélie Poulain) Regie Jean-Pierre Jeunet, 120 Min.

Im Frühling 2001 erlebt "Amélie" in Frankreich einen Riesenerfolg und ihre Abwesenheit (!) war in Cannes eines der wichtigsten Themen. Jean-Pierre Jeunet zaubert nach den meist düsteren Meisterwerken "Delikatessen", "Die Stadt der verlorenen Kinder" und "Alien - Die Wiedergeburt" nun einen herzerfrischen poetischen Augenschmaus ins Pariser Viertel Montmarte.

Amélie (Audrey Tautou) ist ein eigenartiges Mädchen. Aber während uns immer weisgemacht wird, dass "ein eigener Kopf" es schwer hat, beweist uns "Amélie", dass Anderssein Spaß und glücklich macht. Der erste Hinweis auf Amélies besonderes Schicksal findet sich zufällig hinter einer Badezimmerkachel. Eine verstaubte Dose mit Kinderspielzeug will Amélie unbedingt ihrem Besitzer zukommen lassen. Auf diesem fantastisch verschlungenen Abenteuer bringt Amélie nebenbei ein Pärchen zusammen, rächt einen gequälten Gemüseverkäufer an dessen ekelhaften Chef und löst die Lebensknoten ihrer Nachbarn. Dass Amélie am Ende selbst etwas Hilfe braucht, um sich ihr Glück Nino Quincampoix (Mathieu Kassovitz) zu greifen, ist bei so vielen sympathischen Menschen eigentlich kein Problem.

"Amélie" entführt die Welt von heute mit angegilbten Bildern in den erträumten Charme von gestern. Es ist ein reiches, aber harmonisches Ausstattungsspektakel, ein Jungbrunnen aus Fantasie und Sympathie, ein einfach herzliches Märchen im schönsten Styling.

Die Hauptdarstellerin Audrey Tautou ist mit ihrer verschmitzt pfiffigen Amélie die Entdeckung des Films. Zudem sind aus den bisherigen Jeunet-Filmen bekannte Nasen wie Dominique Pinon (der mürrische Kneipengast) oder Rufus (Amélies Vater) dabei.

Dass Schallplatten wie Crepes hergestellt werden und ihr Goldfisch einen Selbstmordversuch überlebte, erzählt Amélie keck in die Kamera. Es ist ein wunderbarer Genuss, mit was für neuen Streichen Amélie das Ekel vom Gemüseladen immer wieder quält: Da werden die Hausschuhe genau eine Nummer kleiner gekauft und extra Glühbirnen mit Brummeffekt besorgt. Sie schickt auch einen Gartenzwerg auf Weltreise, um ihren Vater einer jahrelangen Trägheit zu kurieren. Und irgendwann führen die zahllosen Ansichtskarten des Gartenzwergs tatsächlich zum Aufbruch. Den alten Nachbarn, der immer wieder Renoirs "Frühstück der Ruderer" kopiert, bewegt sie zu einer grundlegenden Stiländerung.

Wenn wieder eine ihrer liebenswerten Listen die Mitmenschen glücklich machte, schenkt Amélie uns ihr herrlich verschmitztes Lächeln. Ihre verspielte Fantasie geht einher mit den Inszenierungsideen Jeunet: Da werden Figuren im wahrsten Sinne "beschrieben", indem jemand fröhlich auf dem Bild kritzelt. Als Amélie aus einer Serie von Briefen, die ihre Hausmeisterin ins Unglück stürzten, den erlösenden letzten Brief schnippelnd komponiert, geschieht das selbstverständlich im witzigen Zeitraffer. Aber auch der fertige Brief liest sich auf der Tonspur als sprunghafte Collage der Originalstimmungen. Derartige Einfälle beschert uns Jeunet im Minutentakt - vielleicht ein Erfolgsgeheimnis von Amélie. Denn dieser märchenhaft leichte und reiche Film kann uns gerne mehrmals beglücken.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

realisiert durch
Ein Service von
arena internet service
FILMtabs-Logo