Am achten Tag

Fr/B 1996 (Le huitieme jour) Regie Jaco van Dormael, 118 Min.

Von Günter H. Jekubzik

Einer entfleuchte dem Kuckucksnest und mit ihm bricht das Kino ins Paradies von Fantasie und großen Gefühlen ein.

Nur mühsam hält die angespannte Maske des smarten Anzug-Typen. Harry hat mit seinem Managertraining Erfolg, entspricht dabei aber überhaupt nicht seinen eigenen Regeln: Das Lächeln ist falsch, der Enthusiasmus bleibt begrenzt. Sein Tag schwingt sich immer wieder mit einem lächelnden Spiegelbild auf und strandet im stupiden Verkehrsstau. Seit ihm Frau und Kinder wegliefen, bewegen sich bei Harry nur noch die morgendlichen Toasts dynamisch nach oben. Ein grausames, unmenschliches Leiden zerreißt dieses unendlich traurige Gesicht. Da muß sich Harry gar nicht mehr die Pistole mit den Knallplättchen an die Stirn halten - wir verstehen schon mit dem herzzerreißenden Schatten über Daniel Auteuils Gesicht. Wer - nach "Ein Herz im Winter", "Meine liebste Jahreszeit" oder "Die Diebe" - bringt sonst diesen Ausdruck eindringlicher in den französischen (und jetzt auch belgischen) Film?

Neben Daniel Auteuil stand im Film und bei der Ehrung für den Besten Darsteller von Cannes 1996 der mongoloide Pascal Duquenne. Sein George bringt Harry zum Lachen, obwohl ihm selbst elendigst zumute ist. George lebt in einem Heim, vermißt seine verstorbene Mutter und überhaupt eine Menge Liebe. Denn sobald die Menschen in Georges den Mongoloiden erkennen, schrecken sie zurück. Doch zu den heftigen Emotionen gehört schreiendes Elend ebenso wie einfache Freude. Georges gibt den perfekten Partner für einen emotional total verkorksten Harry.

Aus einem zufälligen Zusammentreffen auf nächtlicher Landstraße wird eine komplizierte Freundschaft. Harry hat überhaupt keine Lust sich um etwas anderes als seine Probleme zu kümmern. Georges will "nach Hause", zur Wohnung seiner Mutter, die zwar schon vor Jahren starb, dem geliebten Sohn aber immer noch in wunderschönen Tagträumen erscheint. Beim Versuch, den Behinderten abzuliefern, schickt man auch Harry von Station zu Station. Wir lernen die verzweifelte kleine Schwester des Mongoloiden kennen, aber auch die vollkommen verängstigte Frau Harrys erhält einen Besuch. Am Rande der großen, sehr bewegenden Emotionen werden die alltäglichen Dinge des Lebens scheinbar albern in ihrer Sinnlosigkeit bloßgestellt.

Das Tolle "Am achten Tag" sind die Ausflüge der Geschichte, die Feuerwerke an lieben Scherzen, die umwerfenden Solos von PASCAL Duquenne. Von der Hulk-Parodie im Spiegel bis zur Michael Jackson-Nummer vor der großen Videowand. Ach ja, dann gibt es noch singende Mäuse und tanzende Hosen. Und ein paar Tempos sollte jeder mitbringen. Dieser Film ist wirklich gut - im Komischen wie im Traurigen, was dank Georges nicht ganz scharf zu trennen ist.

Jaco van Dormael letztes Kinoglück "Toto - der Held" findet sich in kleinen, liebenswerten Dingen wieder: Im kinderhaften Off-Kommentar, dem Surrealismus, den Gesprächen mit Abwesenden und in himmlischen Perspektiven. Nur der Belgier käme auf die Idee, einen kitschigen Schnulzensänger auf der Kühlerhaube mitfahren zu lassen oder den Ausflug der Mongoloiden in Mongolenkostüme zu hüllen. Nun blickt Georges nach seiner eigenwilligen Schöpfungsgeschichte "Am achten Tag" wohlgefällig zurück. Wir schließen uns ihm an.

(Da Pascal Duquenne tatsächlich am Down-Syndrom leidet, ergibt sich bei der Synchronisation ein großes Problem. Wie soll der ganz eigene Sprachgestus übertragen werden? Ein deutscher Down-Kranker wird wohl nicht lippensynchron übersprechen können; ein Synchronsprecher, der auf "behindert macht" könnte peinlich wirken. Also hoffen wir auf eine OmU-Version.)


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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