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Locarno 1996 - Festivalbericht

Locarno. Ein frisches Sommerfell legte sich der Leopard des Filmfestivals von Locarno zu. Die 49. Edition, die Sonntag zu Ende ging, wies einige Neuerungen und einen eindeutigen Wettbewerbssieger auf.

Der internationale Wettbewerb hat sich geöffnet, ist mit seinen publikumsträchtigsten Filmen auf die Piazza Grande hinausgegangen, was das mit Sternenhimmel und Atmosphäre schon verwöhnte Open Air-Kino zusätzlich bereicherte. Daßnun neben den bisherigen Erst- und Zweitwerken auch bereits etablierte Filmemacher mit frischen Ideen an den Start dürfen, erhöht die Bedeutung des Festivals. Das älteste europäische verdiente sich diesen Rang hinter Cannes, Venedig und Berlin vor allem ohne Anbiederung an den amerikanischen Mainstream.

Die Französin Claire Denis ist mit ihrem Siegerfilm "Nénette et Boni" würdige Vertreterin eines frischen europäischen Kinos. Bruder und Schwester fauchen sich bei ihr wie Hund und Katze an: Nénette lebte nach der Trennung beim Vater, Boni kümmerte sich um die sterbende Mutter und verzieh der kleinen Schwester das Desinteresse nicht. Jetzt ist die junge Nénette schwanger und beide raufen sich zusammen. "Nénette et Boni" lebt von der leichten, beiläufigen Erzählweise, die genauso von Marseille handelt wie von seinen jungen Menschen. Zwei Darsteller aus dem Film - Valeria Bruni-Tedeschi und Grégoire Colin - erhielten Bronzene Leoparden.

Ein Silberner Leopard zeichnet Clara Laws Exodusstory einer Hongkong-Familie aus. "Floating Life" erzählt vom schweren Stand der Traditionen in neuen Heimaten und - ohne es deutlich auszusprechen - von den problematischen Perspektiven für die Menschen Hongkongs vor der Rückgabe an China. In der Abteilung für erste und zweite Werke wurde Petr Vaclav für "Marian" mit dem zweiten Silbernen Leoparden beschenkt. Das düstere Leben eines Heiminsassen in der Tschechoslowakei war allerdings zu vorbestimmt, um interessieren zu können. Das Publikum der Piazza Grande wählte "Microcosmos" zu ihrem Liebling: Eine Sternstunde für alle Insekten, die darin die Hauptrolle spielten. Das Leben unter unseren Füßen zeigt sich spannender und schöner als die meisten Spielfilme.

Aus deutscher Sicht erlebte die Piazza mit dem Ehrenleoparden für Werner Schroeter einen Höhepunkt. Dessen neues Werk "Abfallprodukte der Liebe" verzauberte mit der zelebrierten Künstlichkeit schöner Opernstimmen. Enttäuschend war der Wettbewerbsabschlußauf der Piazza mit der deutschen Produktion "Seven Servants". Eine originelle Idee, schöne Kostüme, Ausstattungen und Bilder, ein Anthony Quinn als respektablen Hauptdarsteller. Ansonsten geistige Leere bei diesem oberflächlichen Schauvergnügen.


Vorbericht  Abschluß (kurz) 
Ehrenleopard für Werner Schroeter  Das Festival (lang) 
Eine Kritik von Günter H. Jekubzik
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