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Kein Tier. So wild.

„Ein Königreich für meinen Jaguar“
Fünf Jahre nach seiner furiosen Adaption von „Berlin Alexanderplatz“ begeistert der Berliner Regisseur Burhan Qurbani erneut. Jetzt mit seiner Version von William Shakespeares Königsdrama „Richard III“ um kriminelle Clans in der Hauptstadt und die eiskalte, gnadenlose Rashida York als Hauptfigur. Die Inszenierung ist ein filmisches Erdbeben, das grandiose Spiel von Kenda Hmeidan als Rashida eine atemberaubende Entdeckung.
„Und so schaff’ ich die Hölle, die eure Welt mir ohnehin schon ist“
Mit dem Ruf „Freiheit“ beginnt vor Gericht die Handlung um die Anwältin Rashida York (Kenda Hmeidan). Die jüngste Tochter der Familie verteidigt ihren Bruder Imad York (Mehdi Nebbou) gegen den Lancaster-Clan. Dann beobachtet sie lächelnd von einem Balkon aus, wie ihre in schwarze Gewänder gehüllte Frauenbande die beiden Anführer der Lancasters ersticht. Das ist der Sieg nach jahrelangem Kampf, aber diese Frau will mehr, gegen alle Regeln. „Betrogen durch Geburt um jeden Vorteil, verformt, unfertig“, bespuckt sie sich im Spiegel, während sie ihre Brüste befühlt. Nicht die Missgestalt von Richards Körper ist hier die Behinderung als Grundlage von Wut und Hass, es ist der weibliche Körper an sich. Eine Frau zu sein, sei in dieser Gesellschaft wie eine Behinderung. Im Aufbegehren dagegen beginnt Rashida ihre Mordserie: Erst stirbt der naive junge Bruder Ghazi (Camill Jammal), dann der Clanchef Imad. Im Kampf mit dessen Frau Elisabet Müller-York (Verena Altenberger) müssen die beiden Neffen dran glauben. Rashida, die als Kind mit ansehen musste, wie ihr Dorf von Kampffliegern bombardiert wurde, lässt der Kindermord kalt. Sie wird zur oft zitierten „Sonne Yorks“, nur eine der vielen reizvollen Reibungen mit Shakespeares Vorlage.
Es sind immer noch die Familien York und Lancaster, wie schon im 16. Jahrhundert beim Königsdrama „Richard III“, das auf dem historischen „Rosenkrieg“ (1455 bis 1485) in England basiert. Allerdings wird der Schauplatz durch Off-Kommentare aus dem Fernsehen nach Berlin verlegt: Auf der Baustelle einer Moschee verhandelt der Clan Rashidas ungewollte Heirat mit Ali Lancaster. Später wird der Hintergrund immer abstrakter, zu einer Seelenlandschaft: vom Feldlager in einem riesigen Zelt auf Sandboden bis zu nebligen Traumlandschaften wie beim Hexensabbat in Roman Polanskis Film „Macbeth“ (1971). Doch das sagenhafte Schauspiel zieht einen immer wieder in seinen Bann. Der sensationelle Film kommt ohne ausufernde Schießereien, Verfolgungsjagden und dergleichen aus, allein die Kraft der Worte und des Ausdrucks machen „Kein Tier. So wild“ allein hochspannend. Das Drehbuch nach Shakespeares Vorlage haben Enis Maci und Qubani eng am Originaltext und dennoch zeitgemäß deftig geschrieben. Neben Kenda Hmeidan, die in der Hauptrolle fast schon tyrannisch dominiert, begeistert Weltstar Hiam Abbass („Die syrische Braut“) als Rashidas treuergebene Ziehmutter und mit Rasierklinge die mörderischste Gefährtin.
Dazu starke Bilder, wie ein See aus Blut um Rashida, die einem den Atem rauben. „Kein Tier. So wild.“ ist eine Mischung aus den realistischen Gesellschaftsdramen eines Rainer Werner Fassbinder und den Historienepen eines Pier Paolo Pasolini. Das Können von Regisseur und Co-Autor Burhan Qurbani ist tatsächlich so groß, dass man ihn neben solche Namen stellen kann. Der Ausruf „Wir sind hier keine Bittsteller mehr“ bringt die durchgehend klare Aussage zum Stand der Integration in Deutschland auf den Punkt. Wobei Burhan Qurbani dies über den gesamten Film hinweg differenziert darstellt. Sonst könnte man sich ohne „Kein Tier. So wild.“ gesehen zu haben, fälschlicherweise darüber aufregen, dass nur arabische Clanmitglieder zu sehen sind. Mit dem herrlichen Witz, dass auch die „Kartoffeln“ namens Müller zum Clan gehören: Elisabet Müller-York.
Die gebrochene Figur des Richard hat schon immer fasziniert, auch das Kino: 1955 spielte ihn die britische Theater- und Filmlegende Laurence Olivier in seiner eigenen Inszenierung. Unvergessen ist auch Ian McKellens Interpretation von 1995 unter der Regie von Richard Loncraine. Dieser verlegte das Drama in ein England der 1930er Jahre voller Neonazis. 1996 drehte Al Pacino den Dokumentar- und Erklärfilm „Looking for Richard“ über Shakespeares Hit. Und natürlich ist er auch auf deutschen Bühnen ein Dauerbrenner, man denke nur an Thomas Ostermeiers Version an der Berliner Schaubühne mit Lars Eidinger in der Titelrolle.
Nun also Burhan Qurbani, der bereits 2013 mit dem packenden und aufrüttelnden Spielfilm Wir sind jung. Wir sind stark.“ begeisterte. In einer grandiosen Inszenierung rekonstruierte er die dramatischen Tage von Rostock-Lichtenhagen, als 1992 ein rechter Mob ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter belagerte. Ein historischer Sündenfall der neuen, wiedervereinigten Bundesrepublik. In „Berlin Alexanderplatz“ zeigte Qurbani 2020 den „Untergang eines Mannes, der gut sein wollte“, also die Geschichte von Döblins Franz Biberkopf, der jetzt Francis B. heißt und Bootsflüchtling aus Afrika ist. Der Regisseur machte aus Döblins innovativem Roman der 20er Jahre (1929) ein zeitgemäßes, kraftvolles Drama mit eigener Bildsprache. „Berlin Alexanderplatz“ war beim Deutschen Filmpreis 2020 für 11 Lolas nominiert und gewann fünf davon. Burhan lebt und arbeitet in Berlin, dem Drehort von „Kein Tier. So wild.“
„Kein Tier. So wild.“ (Deutschland/Frankreich/Polen 2024), Regie: Kenda Hmeidan, Verena Altenberger, Hiam Abbass 142 Min., FSK: ab 16.
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- Publiziert von:
- Günter H. Jekubzik, 07.05.2025 / 10:47
- Rubrik:
- Kritiken GHJ
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