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Sibel

Türkei, Frankreich, BRD Luxemburg 2018 Çağla Zencirci, Guillaume Giovanetti, mit Damla Sönmez, Erkan Kolçak Köstendil, Emin Gürsoy 95 Min.

Das Handy klingelt, aber in der Tee-Plantage an den steilen Tal-Hängen gibt es keinen Empfang. Da hilft sich man sich am Schwarzen Meer, wie auf Gomera, mit einer Pfeif-Sprache. In einem türkischen Dorf wird die seit ihrer Kindheit stumme Sibel (Damla Sönmez) von abergläubischen Nachbarinnen und dummen Mädchen ausgegrenzt. Die selbstbewusste 25-jährige Frau kann aber pfeifend sagen, dass die anderen sie mal können. Oder den Vater fragen, was sie heute kochen soll. Denn auch zu Hause pfeift sie und schmeißt den Haushalt. Im olivgrünem Hemd mit rotem Schal sieht sie rebellisch aus, wenn sie mit dem Gewehr in den Wäldern wieder mal den Wolf sucht, der sich nach einer Legende hier rumtreiben soll. Als statt des Wolfs ein Mann mit Pelzkragen aus dem Gebüsch springt, stößt Sibel den geschwind in die Falle, die sie vorher gegraben hat. Danach pflegt sie allerdings den flüchtigen Soldaten auch, der den Kriegs-Einsatz verweigert.

Die ruhig erzählte Geschichte zwischen eindringlichen Naturbildern und einer unterdrückenden Sozialstruktur wurde von ÇaÄŸla Zencirci und Guillaume Giovanetti trocken ohne Filmmusik inszeniert. Dank des eindringlichen Spiels von Damla Sönmez folgt man Sibel gebannt: Ernst ist sie immer mit dem Gewehr unterwegs, in dessen Kolben ihr Name geritzt ist. Sibel, ihr Name bedeutet „Pfeifen“, ist dauernd auf der Suche nach dem mythischen Wolf, ansonsten eine gehorsame Tochter. Sie bekam vom autoritären Vater und Jagd-Genossen einige Freiheiten. Die verwöhnte jüngere Schwester wird da neidisch, denn sie darf sich mit ihren Freundinnen nicht so lange treffen. Bei der dreht sich allerdings alles darum, möglichst bald verheiratet zu werden. Was traditionell eine Heiratsvermittlerin zwischen den Familien arrangiert. Der Aberglaube ist dabei so stark und brutal, das sich Sibel nicht neben eine junge Braut setzen darf – ihre Krankheit könnte ja abfärben.

„Sibel“ steigert sich im letzten Drittel dramatisch, als die Frauen auf dem Feld Sibel brutal zusammenschlagen, weil diese einen „Terroristen“ im Wald getroffen habe. Nach der Entdeckung ihres Lächelns muss sie nun für ihre kleinen Freiheiten und für die kleine Schwester kämpfen, denn deren Verlobung sagte die andere Familie „wegen des Skandals“ ab.

Auch mit der verrückten Alten Narin, die in einer abgelegenen Hütte noch immer auf ihren Verlobten wartet, der einst von der Dorfbevölkerung erschlagen wurde, ergibt sich im still intensiven „Sibel“ ein Spektrum von fein nuancierten Frauenrollen. Ein Film voller märchenhafter Motive und sehr realer Freiheitskämpfe, der sehr verdient beim Festival von Locarno 2018 den FIPRESCI- und den Preis der ökumenischen Jury gewann.


Ein FILMtabs.de Artikel