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So viel Zeit

BRD 2018 Regie: Philipp Kadelbach, mit Jan Josef Liefers, Jürgen Vogel, Matthias Bundschuh, Richy Müller, Armin Rohde, André M. Hennicke 101 Min.

Jan Josef Liefers haut wieder dürftig bekleidet aus dem Krankenhaus ab. Kurz vor dem Ende noch mal richtig was erleben, war schon 1997 der Antrieb in Thomas Jahns genialem „Knockin’ on Heaven’s Door“. Und nun, zwanzig Jahre später, spielt Liefers im Goosen-Film „So viel Zeit“ endlich mal wieder gut – einen Todkranken, der es mit seiner alten Band noch mal so richtig krachen lässt.

Schon die erste Nummer der Roman-Verfilmung nach Frank Goosen ist klasse: Als Vorgruppe sollte der Auftritt im Rockpalast für „Bochums Steine“ ein Höhepunkt werden. Das übliche Egotrip-Solo des Sängers und Gitarristen führt allerdings zu dessen flammendem Absturz. Dass Bandleader Rainer (Jan Josef Liefers), nachdem er vor 20 Jahren Ole (Jürgen Vogel) von der Bühne gestoßen hat, wieder bei den Bochumer Kumpels auftaucht, stößt auf wenig Begeisterung. Die ehemaligen Bandkollegen Bulle (Armin Rohde), Konni (Matthias Bundschuh) und Thomas (Richy Müller) treffen sich seit Jahren zum gemeinsamen Saufen, das Proben ist nur Alibi. Wie vor allem der nicht besonders feinfühlige Zahnarzt Bulle angesichts von Rainer die versprochene Prügel kaum zurückhalten kann, hat großen Schauspiel-Stil. Doch die Aussicht, bei einem Rockpalast-Revival doch noch mal groß aufzuspielen sowie ein paar Notlügen Rainers überzeugen schließlich. Denn diese alten Herren sind alle nicht wirklich glücklich mit ihrem Leben.

Viel herrliches Gezicke und wenige großartig verhunzte Proben später sind die vier auf einem richtigen Road-Trip zu Ole in Berlin. Mit Rock’n’Roll, Prügeleien, jugendlicher Verliebtheit und mit Rainers Sohn. Denn außer einem Gehirntumor zwackt den lustlosen Musiklehrer das Versagen als Vater. Aber – so viel ist nach wenig Zeit klar – die Band bringt wieder das Beste aus den Jungs heraus.

Filme nach Frank Goosen sollte man sich nie entgehen lassen. Nach „Liegen lernen“ (2003), „Radio Heimat“ (2016) und „Sommerfest“ (2017) begeistert auch „So viel Zeit“ mit bodenständigen Ruhrpott-Typen und ihrem einzigartigen Humor. Auch schauspielerisch ist „So viel Zeit“ eine große Nummer. In Armin Rohde sieht man plötzlich Potential zu einem reifen Charakterdarsteller für prominente internationale Rollen. Liefers bekommt der Wechsel vom Arztkittel zum Patienten-Hemd mit „hinten-ohne“ ausgesprochen gut. Jürgen Vogel darf sich mal zurückhalten. Nicht vergessen darf man die Frauen an ihrer Seite: Ohne Alwara Höfels als Stewardess eines Vergnügungskahns und Laura Tonke als Kneipen-Chefin kämen die Jungs nicht weit. Viel freche Schnauze die ihnen den Kopf wäscht. Dazu zeigt Regisseur Philipp Kadelbach („Unsere Mütter, unsere Väter“) viel Bochum. Die Tonspur-Songs von Cat Stevens’ „Father and Son“ bis zu „Brothers in Arms“ überzeugen allerdings mehr als die zu recht unbekannt gebliebenen „Bochums Steine“ oder die austauschbaren Kurzauftritte der aus unbekannten Gründen bekannten Scorpions.


Ein FILMtabs.de Artikel