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Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm

BRD 2017 Regie: Joachim Lang mit Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król 136 Min. FSK ab 6

Das typische Chaos vor der Generalprobe einer „Dreigroschenoper“ mündet in des Austritt des Theaters in die restliche Welt: Brecht (Lars Eidinger) inszeniert nun selbst den Film nach seinem Bühnenerfolg. Dreigroschen-Briefpapier und -Tapete verkaufen sich ja schließlich auch hervorragend! Ja, „Mackie Messer“ liefert nicht nur eine Aufführung oder deren Verfilmung. Hier gibt es gleich die Inszenierung, ihre Geschichte und das Drumherum zum Preis von einem Eintritt – hereinspaziert! Brechts Poetische Theorien werden im Vorübergehen eingestreut, mal spricht er zu den Frauen auf dem Rücksitz eines flotten Automobils, mal in die Kamera. Das ist großes Theater, Verzeihung: Kino, mit teilweise albern getanztem Ballett auf Kanälen und Brücken von Soho (gedreht in Gent). Und weiterhin die alte Geschichte vom Kampf des Londoner Gangsters Macheath (Tobias Moretti) mit dem Kopf der Bettelmafia Peachum (Joachim Król). Denn ausgerechnet Polly (Hannah Herzsprung), die Tochter von Peachum und dessen Frau (Claudia Michelsen), verführt den Zuhälter und Schwerenöter Macheath – genannt Mackie Messer – mit ihrem Hintern zur Ehe.

Die Hochzeit wird in einer der vielen großen Szenen von Macheaths Bande zusammengeklaut. Der Polizei-Chef kann hilflos nur selber mitfeiern, privat selbstverständlich. Aber die Kosten der aufwendigen Brautwerbungs-Szene bekümmern den Produzenten, ein Film ist nun mal kein Episches Theater. Dieser „Mackie Messer“ schon mal gar nicht, so üppig wie er daherkommt. Ja, wieder werden die Illusion einer klassischen Spielfilm-Handlung und die Vierte Wand durchbrochen. „Mackie Messer“ und seine Protagonisten sind dauernd selbstreflexiv, wenn der Produzent den Film unterbricht, weil die Reihenfolge verändert wurde, wenn Brecht das Geschehen kommentiert, wenn Mackie augenzwinkernd in die Kamera scherzt oder sein Darsteller aus der Rolle tritt und Kritik an der Umsetzung äußert.

Dazu fließt Biografisches ein: Proben zu „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, die Reichstagswahlen mit dem Aufkommen von Hitler, die Vielweiberei Macheaths wird mit der von Brecht verglichen. Auch die populärsten Zitate dürfen nicht fehlen: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“ Derweil müssen Brecht und vor allem Kurt Weill immer mehr den rechten Mob fürchten.

Das ist ironisch, verfremdend, spaßig, manchmal auch nervig. Joachim A. Lang „George“, „Brecht – Die Kunst zu leben“) interpretiert in seinem Kinofilmdebüt den Welterfolg von Brecht und Weill vielschichtig und reizvoll komplex in einem witzigen Erzählfluss auf mehreren Ebenen. Dabei ist Eidinger als Brecht allein schon Spektakel, der Rest noch mehr. Ein großes Spektakel! Großartige Szenen wie das Polizei-Amt, das an „Brazil“ erinnert, wechseln sich mit intensivem Schauspiel ab. Eine wilde Kamera will unbedingt Kino machen. Auch Tobias Moretti, Joachim Krol und ein interessanter Mix an anderen bekannten Darstellern passen sich trefflich in den Reigen ein.

Während dies alles – bis auf die Aktualität des originalen Stoffes – recht braves Bildungs-Kinos ist, verstört einzig das dekorative Getanze von ein paar Hupfdohlen. Wer so was auf offener Bühne verbricht, hat noch nie was von Baz Luhrmann („Moulin Rouge“, „Romeo + Julia“) gesehen. Irritierend dekorativ auch Max Raabe, der am Leierkasten singen muss. Zum Glück ist das Denken von Brecht nicht klein zu kriegen: Die Schlussszene zeigt dann all die Verbrecher vereint im Anzug, bereit die Gesellschaft in moderner Form als Bank zu übernehmen und auszunehmen. Das ist immer noch stärker eine weitere aufgesetzte Selbstreflexion.


Ein FILMtabs.de Artikel