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Augenblicke: Gesichter einer Reise

Frankreich 2017 (Visages Villages) Regie: Agnès Varda, JR 93 Min. FSK: ab 0

Die kleine, aber großartige Regisseurin Agnes Varda feiert am 30. Mai 2018 ihren 90. Geburtstag und findet ihre Geschichten noch immer am Wegesrand. Diesmal zog sie für die Dokumentation „Visages Villages“ („Augenblicke: Gesichter einer Reise“) mit dem Street-Art-Künstler JR (Juste Ridicule) durch Frankreich. Er hat eine fahrende Kabine wie für Passfotos, die aber direkt riesige Schwarzweiß-Abzüge ausdruckt. Die kleistert er an die Wände von Dörfern und Fabriken, überhöht so spielerisch die „einfachen“ Menschen, die man leicht übersieht, mit ihren Geschichten.

So ist der junge JR ein Geistesverwandter von Agnes Varda. Zusammen nehmen sie im Norden Frankreichs die Erzählungen der Bergarbeiter auf und kleben riesige Paste Ups auf verlassene Bergarbeiter-Häuser. Sowie ein Porträt von Jeannine, die von ihrem Vater erzählte und in Tränen ausbricht, als sie das Kunstwerk sieht. Tränen verdrücken kann man auch als Zuschauer öfter, weil es Varda wieder gelingt, einfach auf Menschen zu treffen, die sich völlig unverstellt öffnen. Das ist das Prinzip der Zufallsfunde von „Die Sammler und die Sammlerin“ (2000), in dem sich Varda selbst als Sammlerin porträtiert.

Der Zufall sei ihr bester Assistent, sagt sie auch nun. Dabei zeigt sie sich als unglaublich genaue Beobachterin. Aus jeder Begegnung entsteht eine kleine Doku-Perle, ein filmisches Porträt
und dazu das von JR geklebte Riesenposter. Dann folgt immer eine Nachbesprechung der beiden Künstler, auf Bänken mit dem Rücken zur Kamera. Hier klingt bei netten Neckereien auch ein Abschied an. Die Beine und auch die Augen wollen nicht mehr richtig bei der Frau, die seit 1961 Filme macht. Die eigene Augenbehandlung fließt kunstvoll mit ein.

Und so steckt in der liebenswert offenen und unkomplizierten Art auch große Kunst, die ganz einfach glücklich macht. Jedes Gesicht hat eine Geschichte und auch die Kamera findet wunderbare Bilder. „Visages Villages“ ist nun nicht so unwiderstehlich rührend und Jahrhundertwerk-sensationell wie Vardas wundervolle Liebes-Doku „Jacquot de Nantes“ (1991) über ihren Mann, den ebenfalls einzigartigen Regisseur Jacques Demy („Die Regenschirme von Cherbourg“). Doch für das wahre Glück im Kino ist Agnes Varda immer noch die beste Empfehlung.


Ein FILMtabs.de Artikel