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In den Gängen

BRD 2018 Regie: Thomas Stuber mit Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth, 120 Min. FSK ab 12

Ein Strauß-Walzer erklingt in den nächtlich verlassenen Gängen eines nüchternen Regallagers. Passt eigentlich nicht, aber verleiht dem Arbeiter auf seiner Reinigungsmaschine und den Stapler-Fahrern eine leichte Beschwingtheit, die wiederum mit dem echten Arbeitsleben nichts zu tun hat. Blass in diesem Hallen ohne Tageslicht ist der Neue, Christian (Franz Rogowski), der zur Erstausstattung für den neuen Job im Großmarkt einen Blaumann und ein paar Stifte in die Brusttasche bekommt. Christian wird empfangen von genialen Sprüche des alten Kollegen Bruno (Peter Kurth) mit herrlichen Kurz-Sätzen, die auch Philosophie sein könnten. Mit kindlichem Staunen tritt der „Frischling“ all die Gerätschaften wie den Menschen hier entgegen. Und stellt sich ansonsten nicht besonders geschickt an. Aber alle seine Fehler werden von den Kollegen freundlich aufgefangen. Selbst als sich Christian in die verheiratete Süßwaren-Marion (Sandra Hüller) verliebt und „stapelt wie ein Irrer, weil es ihn erwischt hat“.

Sie ist grandios, diese langsame Annäherung erst am Kaffeeautomat, dann durch die dicken Regale beim Einsortieren. Und er ist ein erstaunliches Wunderland, dieser ungewöhnliche Mikrokosmos, in dem öfter mal „Fuffzehn“, also Pause zum Rauchen gemacht wird. Hier drinnen verboten, aber „der Alte macht es ja auch“. Schachpartien müssen beendet werden und nach Geschäftsschluss erfüllt der Chef die Hallen mit auserwählter Klassik. Er verabschiedet übrigens auch jeden Abend jeden Angestellten mit Handschlag. Hier wird das Märchenhafte dieses Films ganz deutlich.

Die Gabelstapler bekommen ein Eigenleben, und zwar ein bockiges. Die ersten Fahrversuche Christians ernten ein nüchternes „Ach du Scheiße“ von Bruno. Zum Wegwerfen komisch! Doch im Gegensatz zum weit verbreiteten Runtermachen der Neuen, geschieht hier alles fast traumhaft vertraut. Und so rücksichtsvoll wie in einer großen, harmonischen Familie. Zu Weihnachten wird von den Angestellten selbst in den abgelaufenen Waren „containert“, beim Feiern kommen sich Christian und Marion näher.

„In den Gängen“ erzählt eine langsame Liebesgeschichte in eigentlich unromantischer Umgebung, eine Erinnerung an menschlichen Umgang und menschliche Arbeit, von denen Kapitalismus und Neo-Liberalismus nichts mehr übrig gelassen haben. Das Buch schrieben Regisseur Thomas Stuber und Schriftsteller Clemens Meyer („Als wir träumten“). Und so ist der besondere Film, die Geschichte von einem „guten Mann“ in einer „guten Truppe“, der Rest einer vergangenen Utopie einer besseren Welt. Bruno erzählt, wie er nach der Wende vom Fernverkehr auf den Stapler wechseln musste. Und jetzt bieten nur die Kollegen noch ein Zuhause.

Franz Rogowski, dieser absolute Alleskönner von Schauspieler (auf den Bond-Bösewicht werden Wetten angenommen), begeistert auch in dieser nüchternen Alltagslyrik von „In den Gängen“ wieder. Unglaublich, wie dieser Mensch, der neben Isabelle Huppert in Hanekes „Happy End“ zu sehen war, der mit dem wilden „Tiger Girl“ mithielt, der als „Lux – Krieger des Lichts“ auftrat und Anna Seghers „Transit“ belebte, nun diesen extrem schweigsamen, fast linkischen Lagerist gibt. Neben ihm gefällt Peter Kurth, noch so ein stiller Gigant des deutschen Films, besonders. Hüller lässt nur mit müdem, geschafftem Gesicht eine schwierige Ehe erspüren – von der wir nie etwas sehen. Und trotzdem gibt ihre Marion mit frischer, herzlicher Art dem Laden gute Laune. Ganz nebenbei kann man sich auch an diesen tollen Gesichtern weiden. Dazu ein sanfter, wunderbarer Musikeinsatz. Das Happy End ist, wenn Marion dem Frischling das Rauschen des Meeres hören lässt … selbstverständlich in den Gängen!


Ein FILMtabs.de Artikel