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I, Tonya

USA 2017 Regie: Craig Gillespie mit Margot Robbie, Sebastian Stan, Allison Janney 120 Min. FSK ab 12

Das Kunststück dieses Films ist nicht nur der Dreifach-Axel, mit dem Eiskunstläuferin Tonya Harding 1991 als erste viel Eindruck machte. Wie die skandalöse Geschichte von Harding und dem Eisenstangen-Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan in der sagenhaften Biografie mal grell satirisch, mal heftig asozial und dann sehr menschlich erzählt wird, ist der filmische Dreifach-Axel von „I, Tonya“. Ein toller Spaß, ein Stück Sport- und Zeitgeschichte, das sich immer wieder um die eigene Achse dreht, dass immer wieder ein neues Gesicht zeigt. Die Wandlungsfähigkeit von Margot Robbie („The Wolf of Wall Street“) als Harding krönt diesen Ausnahmefilm.

Auf der Tonspur schmettert „Devil Woman“ von Cliff Richard, als die teuflische Mutter LaVona Fay Golden (Allison Janney) die vierjährige Tonya gegen den Widerstand der Trainerin auf das Eis schickt. Dass LaVona ungeniert ihre Zigarillos weiterraucht, ist da schon Nebensache. Genauso wie Tonyas Toiletten-Bedürfnis während des Trainings, ein paar Jahre später. Die eiskalte Mutter lässt es nicht zu, der Urin läuft die Beine runter, soll sie halt nass trainieren. Geschlagen und getreten wird Tonya sowieso von dieser Hexe, der sie es nie recht machen kann. Konsequent wird Tonya auch von ihrem Freund verprügelt und meint, das gehört zur Liebe dazu.

Ja, diese Tonya Harding ist „White Trash“ und der Film amüsiert sich an den Exzessen der armen, ungebildeten und extrem ruppigen Figuren – während er gleichzeitig mit dieser schockenden Lebensgeschichte berührt. Klar, dass diese Eis-Prinzessin, die für ihren neuen Freund auch schon mal den Motor repariert, mit ihren billigen, selbst geschneiderten Kostümen von den snobistischen Punktrichtern ein Leben lang Abzüge bekommt. Da kann Tonya noch so einzigartig hoch springen und überlegen laufen. Was die Kamera großartig kreiselnd unter den lauten Hits der Zeit einfängt. Doch die Euphorie, die wir mit Tonya erleben, landet immer wieder brutal auf eisigem Boden: Auch diesen Richtern wird Tonya nicht genügen. Es bleibt ein Kampf an allen Fronten: Mit den Fäusten gegen den brutalen Mann, verbissen gegen die Mutter mit ihrem emotionalen Missbrauch und gegen die Funktionäre, die gerne eine andere Eis-Prinzessin für die USA auf der Olympiade sehen wollen.

„I, Tonya“ ist die absurde, bissige und gleichzeitig einfühlsame Geschichte von Tonya Harding – mit (Fake-) Interviews, erzählt von Harding, der verrückten Mutter mit einem Papagei auf der Schulter, dem blöden Ehemann Jeff Gillooly (Sebastian Stan) und einem noch bescheuerteren Bodyguard. Hier wird sichtlich gelogen, rumgedruckst und am medialen Selbstbild gebogen. Tonya spricht aber auch in die Kamera, während sie verprügelt wird. Das ist witzig inszeniert, genau da, wo es überhaupt nicht mehr witzig ist.

Diese Brüche, etwa wenn sich die Mutter beschwert, dass ihre Figur mittlerweile ja nicht mehr vorkommt, gehören zu den genialen Stilmitteln eines unglaublichen Films. Der nicht langweilig wird, auch wenn es etwas dauert, bis endlich das „Ereignis“ zur Sprache kommt, auf „das ihr ja alle wartet“ (Harding). Der Schlag mit einer Eisenstange auf das Knie der Konkurrentin ist Sportgeschichte und hier eine grandiose Räuberpistole mit „Fargo“-mässig dämlichen Typen.

Am Ende kann die Tragikomödie mit den unheimlich starken Aufnahmen in der bunten Farbpalette der 90er nicht gut ausgehen. Wie Tonya noch halbwegs clever ihren schmutzigen Ruhm trotz Eiskunstlauf-Verbot ummünzt, ist im wahrsten Sinne niederschmetternd und sehr bitter. Wir wissen immer noch nicht, was wahr ist, aber diese Tonya Harding ist ein Biest, dass man liebhaben kann. Und ein Film, den man sehen muss!


Ein FILMtabs.de Artikel