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Call Me by Your Name

Italien, Frankreich, Brasilien, USA 2017 Regie: Luca Guadagnino mit Armie Hammer, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg, Amira Casar, Esther Garrel 133 Min. FSK ab 12

Die Sonne von Kultur und großem, weitem Geist erstrahlt in diesem wunderbaren Film einer ersten großen Liebe. Die Kino-Legende James Ivory („Mein Mann Picasso“ 1996, „Was vom Tage übrig blieb“ 1992, „Wiedersehen in Howards End“ 1990, „Maurice“ 1985, „Zimmer mit Aussicht“ 1985) beschenkt uns als Drehbuch-Autor mit einem puren Glücksfilm, der eine aus heutiger Sicht erstaunliche Welt ohne Hass, Neid und andere niedere Antriebe zeigt.

Ein traumhaftes Landhaus Oberitaliens beherbergt eine schon in ihrem vielsprachigen Umgang faszinierende Familie: Der Vater des 17-jährigen Elio Perlman (Timothée Chalamet) ist ein us-amerikanischer Archäologie-Professor, die Mutter Annella die italienisch-französische Erbin des Gutes. Elio selbst flirtet mit jungen weiblichen Sommergästen des Dorfes auf Französisch, schwätzt ganz entspannt mit der Bevölkerung in Italienisch und übersetzt klassische Musik in moderne Partituren. Ansonsten liest er unglaublich viel und Anspruchsvolles oder schwelgt im lauen Sommer.

Der wird etwas heißer, als mit Vaters amerikanischem Doktoranden Oliver (Armie Hammer) der diesjährige Gast der Familie auftaucht. Wie eine Verkörperung aller Werbeträume der frühen Achtziger bewegt sich der Schönling in Short und Sneakers durch die Szenen. Sein lässiges „(See you) later“ wird bald zum Running Gag der Gemeinschaft. Dass Oliver in Elios Zimmer einquartiert wird und dieser seine neue Kammer nur durch das gemeinsame Badezimmer verlassen kann, sorgt anfangs für Komik bevor es immer spannender wird.

Denn Elio, der gerade noch vor den Eltern von einer Fast-Liebesnacht mit einer Freundin erzählte, ist fasziniert vom älteren Mann. Was selbst dieser unglaublich erwachsene und selbstsichere Junge erst einmal durch eine kalte Schulter ausdrückt. Doch eine gemeinsame Radtour führt zu einem sehr souveränen Liebesgeständnis.

Man kann getrost alles Drama, alle Klischees der ersten Liebe vergessen bei „Call me by your name“. Auch dass eine schwule Liebe vielleicht im Umfeld für Aufregung sorgen könnte, fällt hier aufs Wunderbarste aus. Die Frage etwa, ob „Mama es wusste“ kann im entspannt vertrauten Gespräch zwischen Vater und Sohn so unaufgeregt eine ganz andere, weitere Bedeutung bekommen. Und zu einem der tiefgründigsten, schönsten Kinomomente seit langer, langer Zeit werden.

Ohne Bigotterie, ohne Hass auf irgendwas ist Raum für all diese unfassbar vielen Gefühle in Gesten, Mimik, Bewegungen. Allein über die sinnlich und etymologisch prall gefüllten Aprikosen aus dem Garten der Villa, denen auch noch ganz neue sexuelle Reize zuteil werden, könnte man lange schwärmen. Und so ist nicht nur jedes Detail in diesem filmischen Kunststück liebevoll ausgeführt, es ist wortwörtlich voller Liebe.

Ivory, der viele seiner bekannten Filme mit dem Produzenten und auch privaten Partner Ismail Merchant realisierte, arbeitete als Ko-Autor an der Umsetzung von André Acimans Roman, der im us-amerikanischen Blick eine Verehrung alter europäischer Kultur feiert. Die Irritationen durch Gegenwärtiges sind minimal. Durch viel Italo-Pop auf der Tonspur (neben sehr sanfte Songs) klingt politisch der vieldiskutierte Amtsantritt des später wegen Korruption verurteilten Ministerpräsidenten Bettino Craxi. Man liest Heidegger und aus dem Garda-See werden antike Götterfiguren geborgen, die sich kongenial in die Ästhetik des Films einfügen. Dabei halten sich spannende erotische Szenen mehr zurück als die alten Bildhauer.

Sagenhaftes Schauspiel vor allem vom jungen Hauptdarsteller Timothée Chalamet vollendet diese stille, pure Liebesgeschichte aus einer Zeit und einem sozio-kulturellen Umfeld, die heutzutage utopisch wirken.


Ein FILMtabs.de Artikel