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Wonder Wheel

USA 2017 Regie: Woody Allen mit Kate Winslet, Jim Belushi, Justin Timberlake,
Juno Temple 102 Min. FSK: ab 12

Ein Strand-Boulevard der zerbrochenen Träume ist die New Yorker Vergnügungs-Meile Coney Island für vier Menschen: Ginny (Kate Winslet), Ex-Schauspielerin, Mutter und Frau in zweiter Ehe, arbeitet in einem unpersönlichen Krabben-Imbiss. Ihr grober Mann Humpty (Jim Belushi) betreibt ein klapperiges Karussell und auch privat läuft es nicht rund. Seine einst verstoßene Tochter Carolina (Juno Temple) kommt mittellos angekrochen und muss sich vor der Gangsterbande ihres Mannes verstecken. Nur der junge Rettungsschwimmer Mickey (Justin Timberlake) strahlt und träumt noch von einer Karriere als Bühnenautor.

Wenn Popstar Justin Timberlake als Bademeister mit Leidenschaft fürs Melodram eine Geschichte erzählt, klingt das sehr nach Woody Allens verschmitztem Blick auf Leben und Kunst. Doch der gut gebaute und literarisch unterfütterte Lebensretter am Strand von Coney Island bleibt letztlich eine lächerliche Randfigur im großen Drama um die von Kate Winslet atemberaubend gut gespielte tragische Heldin.

Ginny erzählt gerne, dass sie einst ein Star war – fast. Nun träumt die 40-Jährige von verpassten Chancen und spielt dabei angeblich nur die Kellnerin im Fischrestaurant. Dass der 14 Jahre jüngere Bademeister ein Verhältnis mit ihr beginnt und vielleicht sogar ein Stück für sie schreiben würde, ist Lichtblick im trüben Leben zwischen den Jahrmarkts-Attraktionen. Wie in Allens „Radio Days“ ist die historische Zeitstimmung ein Genuss. Die 50er-Jahre im Vergnügungspark auf Coney Island zeigen sich aber nie als leichter Spaß. Miese Jobs im Schnellrestaurant, der Lärm der Schießbude, selbst die Flucht des zündelnden Juniors ins Kino gewährt keine Erleichterung heiler Welten.

Und so bekommt Ginnys kleines Glück direkt Schattenseiten, weil Humpty nicht nur Zeit und Energie für die verloren geglaubte Tochter aufbringt. Die Prinzessin braucht zuhause nichts zu tun und ihr Geld vom Kellnerjob darf sie behalten, während Ginnys Sohn aus erste Ehe teure Therapie-Stunden hat, denn er zündet alles mögliche an. Und nun interessiert sich Mickey auch für Ginnys Stieftochter Carolina.

Bis zur atemberaubenden, finalen Bette Davies-Szene ist diese Ginny von Kate Winslet ein zutiefst zerrissener Charakter – auf faszinierende und verstörende Weise. Das aufopferungsvolle Leben dieser Frau, die erkennbar in jungen Jahren ganz anders strahlte, berührt und erschüttert. Die Behandlung durch den groben Klotz Humpty wirkt skandalös, doch Ginny betonnt, dass er sie einst rettete, während sie ihn vom Alkohol fernhält. Eine traurige Symbiose, selbst ein Hauch von Liebe bei ihm schmerzt nur. Allerdings scheint in den Träumen einer besseren Zeit auch ein selbstüberschätztes Starlet durch und vielleicht war die junge Ginny ja eine ziemlich unerträgliche Zicke.

Woody Allen inszeniert für diese Amazon-Produktion mit kleinerem Etat und Ensemble, wobei „Wonder Wheel“ auch dank Winslet Woodys bester Film seit langem ist. Das ganz große Melodram wählt bewusst das kleine Set einer Wohnung über der Schießbude. Durchsichtig wie ein Aquarium menschlicher Kuriositäten bietet diese Bühne mit künstlichem, überdramatischem Licht (Kamera: Vittorio Storaro) Szenen, die größer als das Leben sind. Vielleicht kann diese reife Winslet, zerrissen zwischen Leiden und Schuld, tatsächlich ihr Bild als Titanic-Gallionsfigur aus dem Kino-Gedächtnis verdrängen.


Ein FILMtabs.de Artikel