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Lieber Leben

Frankreich 2016 (Patients) Regie: Grand Corps Malade, Mehdi Idir mit Pablo Pauly, Soufiane Guerrab, Moussa Mansaly, Nailia Harzoune 112 Min. FSK: ab 6

Mit Leichtigkeit, Optimismus und Lebensfreude erzählt „Lieber Leben“ die Krankengeschichte des französischen Poetry-Slam-Künstlers Grand Corps Malade nach dessen Roman „Patients“. Der sehenswerte Film hält sich dabei ebenso angenehm von üblichen Erfolgs-Biografien wie von den Krankheitsfilm-Klischees fern.

Ganz subjektiv wird der Moment des Aufwachens aus der Perspektive des plötzlich gelähmten Benjamin erzählt. Auch wenn wir nur Neonröhren und ab und zu ein medizinisch besorgtes Gesicht sehen, macht der ruppige Spruch „Von wem ist dieser Tetra hier?“ alles klar: Benjamin (Pablo Pauly) gehört zu den vielen, die nach einem übermütigen Kopfsprung in zu flaches Wasser querschnittgelähmt sind. Nun erleidet er vor allem einen schwer erträglichen, banal fröhlichen Pfleger, der mit Benjamins elektrisch verstellbarer Rückenlehne spielt und ihn permanent in der dritten Person anredet. Der „Patient“ ist halt ein junger, hoffnungsvoller Sportler, dem man die ästhetischen Vorbehalte gegen Stützstrümpfe und flauschige Schon-Schuhe als Hauptproblem abnimmt. Ein optimistischer Typ, der lange glaubt, dass er bald wieder Basketball spielen und auf Sportlehrer studieren wird.

Die negative Perspektive seiner Ärztin ist zwar niederschmetternd, doch streichen Sie hier unbedingt all die Hollywood-Streicher aus dem Kopf, die jetzt immer einsetzen. Auch die wundersame „Trotzdem“-Wende zum Guten und die Hymne des „Niemals Aufgeben“ erspart uns der sympathisch geerdete Film mit seiner ebensolchen Hauptfigur. Wer jetzt einen platten Witz rausliest – geerdet / Rollstuhl – ist direkt im Ton der Tetra-Truppe rund um Benjamin in dieser Reha-Klinik.

Die Stimmung auf der Station der Querschnittsgelähmten, die Freundschaften und die Spannungen untereinander, der ruppige Ton, auch Spaß mit „Tetra-Boxduellen“ (trotz wenig beweglichen Armen) machen aus „Lieber Leben“ tatsächlich einen unterhaltsamen, witzigen und fast schon leichten Film. Und auch wenn er nicht die emotionale Gewalt von Julian Schnabels „Schmetterling und Taucherglocke“ an den Tag legt, bewegt er trotzdem. Denn nebenbei gibt es auch die scheinbar ganz banalen frustrierenden Situationen, wenn etwa der elektrische Rollstuhl nicht mehr fährt und keiner zur Hilfe kommt. Vor allem Benjamins neuer Freund Farid (Soufiane Guerrab), der schon seit vielen Jahren mit dem Rollstuhl lebt, und nach einer Operation noch einmal zur Reha da ist, zeigt den „Anfängern“ Perspektiven für ein Leben mit Querschnittslähmung auf. Und dann gibt es selbstverständlich noch die schwierige Liebe zur schönen Samia, die ebenfalls im Rollstuhl sitzt.

Wie die filmischen Betonungen besonders bewegender Szenen, bleibt auch der Einsatz von Rap- und Hiphop-Musik dezent in diesem ruhigen Fluss. Der Film endet damit, dass Benjamin die Reha-Klinik verlässt. Der Autor Grand Corps Malade – „großer, kranker Körper“ – wurde nach seiner Reha mit einer Krücke als Markenzeichen zum bekannten Poetry-Slamer und hat mittlerweile mehrere Alben aufgenommen. Das Video mit dem Song „Espoir adapté“ zeigt ihn selbst in einem mal sehr netten „Making of“ des Films.


Ein FILMtabs.de Artikel