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Happy End (2017)

Frankreich, Österreich, BRD 2017 Regie: Michael Haneke mit Isabelle Huppert (Anne Laurent), Jean-Louis Trintignant, Mathieu Kassovitz, Fantine Harduin, Franz Rogowski 108 Min. FSK: ab 12

„Happy End“, der neue Film vom zweifachen Cannes-Sieger Michael Haneke, beginnt irritierend vertraut: Wieder sehen wir eine heimliche Beobachtung durch eine vorerst unbekannte Person. Das Haneke verwandte schon 2004 als Spannungselement im kühlen Thriller Caché. Eine Figur von damals hieß wie jetzt George Laurent, beide haben einen fiesen Moment mit Rasiermesser. Auch zum Frühwerk Hanekes gibt es überdeutliche Referenzen – „Benny’s Video“ (1992) ist jetzt eine Handy-Aufnahme. Und als Konstante spielt eine dysfunktionale Familie die Hauptrolle.

Der abgefilmte Tod eines Hamsters infolge eines Medikamenten-Experiments ist nur die Vorstufe zur familiären Grausamkeit, dass die eigene, meckernde Mutter mit den gleichen Pillen final ruhiggestellt wird. Die Eiseskälte des Kommentars dazu ist typisch Haneke. Wie ein Vater danach seine teil-verwaiste Tochter niemals herzlich aufnimmt, fügt die übliche grausame Distanz in solchen Familienaufstellungen hinzu. Dabei wirkt die zwölfjährige Eve (Fantine Harduin) in der neuen Umgebung noch recht normal.

Es ist das Stadtdomizil der reichen Familie Laurent mit ihren nordafrikanischen Bediensteten in der Flüchtlings-Hochburg Calais. Die Tabletten-Überdosis einer ehemals Angeheirateten und ein schwerer Unfall auf einer Baustelle erschüttern den Clan. Der gereizte Sohn Pierre (Franz Rogowski) wird der meckernden Mutter Anne (Isabelle Huppert) runtergemacht. Der vergessliche und gebrechliche Patriarch Georges Laurent (Jean-Louis Trintignant) gebietet Stille, will sich aber am liebsten per Selbstmord davonmachen.

Bei den Laurents sind fast alle äußerlich oder innerlich verletzt, viel dreht sich ums Krankenhaus, Annes Bruder Thomas (Mathieu Kassovitz) ist angesehener Arzt. Er bekommt von der frisch angenommenen Tochter Eve, die schnell seine Affäre entdeckt, eine knallharte Analyse vorgesetzt: „Ich weiß, dass du niemanden liebst. Das ist nicht weiter schlimm, ich will nur dass du mich (diesmal) mitnimmst, wenn du deine Frau verlässt.“ Diese verschlossen und streng gegen sich selbst auftretende Eve entpuppt sich als kleines Monster und die Anwesenheit ihres kleinen Baby-Bruders ergibt im Bild der bekannten Handy-Kamera gefährliche Ahnungen.

Lange hält der Film die Konstellation mit nicht direkt einzuordnenden Ebenen und Perspektiven spannend. Und auch wenn „Happy End“ selbstverständlich sein Titel-Versprechen zum Trug-Schluss macht, verläuft die Handlung nicht stringent auf das irre Schlussbild zu. Formal und inhaltlich hält hier keiner Plakate vor die Kamera. Es sind kleine Irritationen, die sich im gefühlten Unwohlsein der feinen, weißen Gesellschaft einhaken: Der Familien-Hund beißt die Tochter der Haushälterin und niemand unternimmt etwas gegen den unkontrollierbaren Schäferhund.

Der unkontrollierbare Pierre bringt zur weißen Hochzeit der Mutter ein paar Flüchtlinge vom Dschungel genannten Lager am Kanal-Tunnel mit. Der mit Hasenscharte gezeichnete und verzweifelt Verletzte ist in dieser Familie noch am Menschlichsten. Franz Rogowski („Tiger Girl“, „Victoria“) verkörpert ihn eindrucksvoll, unter anderem mit einer atemberaubenden Karaoke-Version von Sias „Chandelier“. Ein stark gealterter Jean-Louis Trintignant wiederholt seine Rolle aus Hanekes „L’amour“. In einer Doublette hat auch George in diesem Film seine gelähmte Frau erstickt. Das höchst interessante Werk Hanekes wurde allerdings extrem schlecht synchronisiert. Diese Unverschämtheit schafft es sogar, das Charisma von Isabelle Huppert auszulöschen, die nach „Die Klavierspielerin“ wieder in eiskalter Verachtung glänzt. Große intensive Momente des Schauspiels lenken allerdings nur raffiniert im Sinne des Films vom kaum sichtbaren Eigentlichen ab: „Rundherum die Welt und wir mittendrin, blind” – so beschrieb Haneke seinen Film.


Ein FILMtabs.de Artikel