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Körper und Seele

Ungarn 2017 (Testről és lélekről / On Body and Soul) Regie: Ildikó Enyedi mit Alexandra Borbély, Géza Morcsányi, Réka Tenki, Zoltán Schneider, Ervin Nagy 116 Min.

Der Gewinner des Goldenen Bären der diesjährigen Berlinale, die traumhafte Liebesgeschichte „Körper und Seele“, märchenhaft auf einem Schlachthof erzählt, prägte das Festival mit einer besonders faszinierenden Szene: Flirtende Hirsche im Winterwald scheinen ihre ganz eigene Romanze zu erzählen, die Kamera ist nah dabei, ohne dass die Idylle gestört wird. Aber alles ist nur ein Traum von Endre (Géza Morcsányi), einem älteren Mann mit Lähmung in einem Arm, der … tatsächlich als Chef eines Schlachthofes in Budapest arbeitet. Hier öffnet sich bereits eine reizvolle Dialektik des Fleisches, welche die nicht nur wunderschöne Romanze auf eine andere Ebene hebt.

Endre ist fasziniert von der neuen Qualitätsprüferin, versucht sich ihr in der Kantine zu nähern, doch Mária (Alexandra Borbély) erweist sich als ein extrem scheues Reh und wirkt sehr spröde im Sozialverhalten. Die nüchterne Kontrolle von Zahlen, Daten, Gewicht und Fettgehalt ist so ihr passendes Habitat, selbst wenn es das zarte Wesen dafür in eine Schlachterei verschlägt. Bis ein routinemäßiger Psychotest der Firma etwas Unglaubliches zeigt: Mária und Endre haben den gleichen Traum, sie träumen tatsächlich Nacht für Nacht die Begegnung des Hirschen und der Hirschkuh im Winterwald!

Geboren 1955 in Budapest, begann Ildikó Enyedi ihre Karriere als Konzept- und Medienkünstlerin und wandte sich später als Regisseurin und Drehbuchautorin sowohl dem Kurz- als auch dem Spielfilm zu. Für ihre Arbeiten gewann sie über 40 internationale Preise. Ihr Film „My 20th Century“ (1989) wurde unter die besten ungarischen Filme aller Zeiten gewählt und machte international Furore. Auch „Magic Hunter“ (1997), eine moderne Freischütz-Adaption, lief in Cannes. Nachdem fast zwanzig Jahre kein Film von Enyedi mehr bekannt wurde und sie in den letzten Jahren eine TV-Serie drehte, gleicht ihr Comeback auf internationaler Bühne nun einem sanften, subkutanen Donnerschlag: „Körper und Seele“ erhielt bei der Berlinale 2017 nicht nur den Goldenen Bären, auch der Preis der ökumenischen Jury und der renommierte FIPRESCI-Preis gingen an der Meisterwerk.

In gleich zweifach ungewöhnlicher Umgebung entwickelt sich eine sehr zarte Liebesgeschichte zwischen einem angeschlagenen Mann und einer Frau, die sich langsam ins Leben zurück traut. Dabei sind sowohl Márias Besuche bei ihrem Psychologen wie auch die eifersüchtigen Einlagen des kultivierten Machos Endre humorvoll und feinfühlig inszeniert. Wie die schöne schüchterne Maria, pedantisch genau mit einigen Ticks durch den Alltag kommt, amüsiert und berührt gleichzeitig tief. Wie die Geschichte beglücken die nüchtern schönen Bilder von Máté Herbai. Es ist vieles widersprüchlich, gegensätzlich und ungewöhnlich, bis zu einem Happy End, das woanders als Tragödie verlaufen wäre. Der Mut zu kleinen Schritten der Veränderungen wird mit einem großen Glücksgefühl belohnt – im Film und im Kino.


Ein FILMtabs.de Artikel