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You’ll never walk alone

BRD 2017 Regie: André Schäfer 100 Min. FSK: ab 0

Die rührselige Schnulze „You’ll never walk alone“ war jahrzehntelang international der absolute Hit in Fußballstadien bis Jack Whites „Seven Nation Army“, bei allen Toren größerer Turniere angespielt, diesen Oldie abgelöst hat. Dabei stammt das von zehntausenden Fans gegrölte Lied aus dem Budapest vom Beginn des 20. Jahrhunderts. In dieser ausgezeichneten Dokumentation – nicht nur für Fußball-Fans – schickt Regisseur André Schäfer den Schauspieler und bekennenden Anhänger eines Dortmunder Sportvereins Joachim Król auf Recherche-Reise zu den Ursprüngen und seltsamen Wegen dieses Liedes.

Die Reise führt überraschend nicht zu den mehr schlecht als recht singenden Hooligans, sondern zuerst zu Hörbinger, Mavie. Die Schauspielerin an der Wiener Burg spielt gerade in Ferenc Molnárs Theaterstück: „Liliom“. Geschrieben 1909 in Budapest wurde das Drama eines Taugenichts, der seine Liebe schlägt, bereits 1934 von Fritz Lang verfilmt. Aber erst über den Umweg des Rodgers & Hammerstein-Musicals zur Hollywood-Schmonzette „Carousel“ von 1956 erlangte der Stoff weltweite Popularität. So entdeckte der Liverpooler Rocker Gerry Marsden zufällig das Lied im Kino – eigentlich wollte er Laurel & Hardy sehen. „Gerry and the Pacemakers“ machten „You’ll Never Walk Alone“ zum Nummer-Eins-Hit, der Rest in der zweiten Halbzeit ist tatsächlich Fußball-Geschichte und ab dann etwas weniger packend.

Doch selbst wenn man dem Profifußball und der bei ihm verbreiteten Überbewertung nur mäßig sportlicher Balltreter nichts abgewinnen kann, ist dies doch als großer kultureller und historischer Rundumschlag ein unterhaltsamer und guter Dokumentarfilm. Darin wird eine als selbstverständlich erachtete Gewalt gegen Frauen bei „Liliom“ ebenso thematisiert wie die Heiligen-Verehrung historischer Stätten eines Fußballvereins. Sogar der Antisemitismus, mit dem Ferenc Molnár konfrontiert war, taucht auf. Was für ein Affront gegen häufig rechtsradikale Fußballfan-Gruppen!

Von Dortmund aus nach Wien und Budapest, über New York und Los Angeles nach Liverpool geht die Reise von Joachim Król. Als Fan von Kindesbeinen an ist mehr als ein gedungener Reiseführer und Sprecher. Es ist nett, wie Król im Plattenladen stöbert, immer wieder alte Aufnahmen des Stücks hervorkramt. Der Interviewer Król lockt vor allem wunderschöne Momente mit Zeitzeugen hervor, wie das Gespräch mit dem alten Tänzer von „Carousel“, der über all seine heftigen körperlichen Gebrechen berichtet. Oder das Pub-Gespräch mit einem Zeugen der Katastrophe im Hillsborough-Stadion mit 96 Toten und 766 Verletzten: Der schockierende Bericht eines der eingeklemmten Zuschauer sorgt für mehr Emotionen als das Pathos um das titelgebende Lied, in dessen Mythos auch diese Toten eingeflossen sind.

Dass man tatsächlich nie alleine ist, inmitten der Fan- und Hooligan-Horden stellt halt auch den Kern vieler teurer Probleme der Massen-Erscheinung Profi-Fußball dar. Gewalt, Regellosigkeit und Rechtsextreme verstecken sich hinter der Fan-Fahne. Diesen ganzen Komplex übersieht der Film in seiner Fan-Seligkeit. So ist der Film vor allem auch ein Fan-Projekt für einen Aktiengesellschaft, die mit Trikotverkauf und einigen Millionären viel Geld verdient. Und ansonsten vor allem in der ersten Halbzeit eine richtig gute Dokumentation.


Ein FILMtabs.de Artikel