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Maikäfer, flieg!

Österreich 2016 Regie: Mirjam Unger mit Zita Gaier, Ursula Strauss, Gerald Votava 109 Min. FSK: ab 12

Die letzten Tage vor dem Frieden im Mai 1945 bilden den Rahmen für einen wahren Antikriegs-Film nach dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Christine Nöstlinger: Aus der ausgebombten Stadt-Wohnung schlägt sich Christines Mutter mit den Kindern zu einer verlassenen Villa im Wiener Stadtteil Neuwaldegg durch. In den Fluchtbewegungen zwischen abrückender Wehrmacht und aufrückender Sowjet-Armee kehren auch die Besitzerin mit ihren Kindern sowie Christines Vater zurück. Der verwundete Soldat wird versteckt und die Uniform verbrannt. Nach der Kapitulation der Nazis quartieren sich die gefürchteten Soldaten der Roten Armee im Haus ein. Für das aufgeweckte neunjährige Mädchen Christine bedeutet das erst einmal ein Abenteuer. Sie lernt ein paar Brocken Russisch, freundet sich mit den Soldaten an. Besonders hat es ihr der jüdische Koch Cohn angetan, der nach furchtbaren, endlosen Drangsalierungen nur noch ein Wrack ist

Für die neunjährige „Christl“ sind ausgebombte Häuser und Soldaten normal – sie kennt Frieden genauso wenig, wie Kinder heute Krieg kennen. „Maikäfer, flieg!“ nimmt ganz die Perspektive der kleinen Heldin ein: Das Zusammenleben mit russischen Soldaten und einer Soldatin ergibt eine seltsame und aufregende Gemeinschaft, ein teils märchenhafter Mikrokosmus. Die Grauen des Krieges werden ohne spekulativen Einsatz von Gewalt mit symbolischen Szenen nur angedeutet. Im Off werden „unliebsame Elemente“ erschossen und so geschieht auch die Vergewaltigung der Mutter außerhalb des Bildes, allerdings in Anwesenheit der russischen Soldatin. Sie erklärt nachher, deutsche Soldaten seien in Russland viel brutaler gewesen. Kluge Ansichten über die Verantwortlichen des Krieges, eifriges Schimpfen auf die Nazis und große Angst vor der Rache der russischen Soldaten sorgen für eine erfreulich klare historische Position – die anderswo allzu oft wegen der „subjektiven Erzählperspektive“ aufgegeben wird.

Christine Nöstlingers Roman „Maikäfer, flieg!“ über ihre Kindheit nach dem Krieg erschien 1973 und wurde zum erfolgreichen Kinderbuchklassiker. Die Österreicher Regisseurin Mirjam Unger hat ihn sehr stimmungsvoll fotografiert und historisch inszeniert. Es ist ein kindgerechter Film, der Erwachsene ebenso erreicht und packt. Keineswegs dunkel in der Stimmung wird auch mal das Festmahl mit versteckten Rationen gefeiert, indem die Kinder begeistert den Teller ablecken dürfen. Später schimpft und flucht ja sowieso jeder in der Villa. Die russischen Soldaten lernt Christl als Individuen kennen, differenziert auch das Verhalten der Österreicher, mal hilfsbereit, mal gnadenlos egoistisch. Ãœber Schuld, auch am Verschwinden von Cohn, könnte man nachdenken – später, denn Christl tut es noch nicht. Die junge Zita Gaier ist mit ihrer Darstellung der neugierigen, freundlichen Christl das Herz dieses außergewöhnlich lebendigen historischen Films.


Ein FILMtabs.de Artikel