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Der Himmel wird warten

Frankreich 2016 (Le ciel attendra) Regie: Marie-Castille Mention-Schaar mit Noémie Merlant, Naomi Amarger, Sandrine Bonnaire, Clotilde Courau 105 Min. FSK: ab 12

Nach haufenweise Action-Schrott, der uns vermitteln will, dass da draußen Horden von Fremden warten, die uns in die Luft jagen wollen, ist hier endlich ein Film, der versucht zu ergründen, wie junge Menschen zu religiösen Extremisten werden. Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar („Die Schüler der Madame Anne“) erzählt in „Der Himmel wird warten“ parallel die Geschichte zweier Mädchen aus behüteten Verhältnissen, die zu Dschihadistinnen werden.

Die siebzehnjährige Mélanie (Naomi Amarger) verkauft an der Schule idealistisch Bleistifte für Burkina Faso. Ihre alleinerziehende Mutter Sylvie (Clotilde Courau) kümmert sich vielleicht etwas zu sehr, eigentlich will die Tochter nicht mehr mit ihr über Sex reden. Als Mélanies Oma im Pflegeheim stirbt, findet das Mädchen Trost in den Chats mit einem Mehdi. Noch kindlich mit einem Teddy spielend, verfällt sie langsam dem maskulinen Logo des Löwenkopfes und wandelt sich zu einer Muslima, die in der Rigorosität eine in dieser Religion aufgewachsene Schulfreundin überholt.

Die Wohnung von Catherine (Sandrine Bonnaire), Samir und ihrer 17-jährigen Tochter Sonia (Noémie Merlant) wird in der Nacht von der Polizei gestürmt. Sonia kommt unter dem Verdacht, einen Anschlag geplant zu haben, unter Arrest. Die Eltern nehmen es auf sich, als Alternative zur Untersuchungshaft ihre Tochter zu Hause zu bewachen. Dabei kommt vor allem der Vater nicht mit Sonias Wahn zurecht, die Welt würde bald untergehen und sie müsse ihre Eltern als Märtyrerin retten, weil sie ja als Selbstmordattentäterin 70 Menschen mit in den Himmel nehmen könne.

Mit Schrecken und Mitgefühl verfolgt man die Wege von Sonia und Mélanie. Lassen die Chat-Dialoge, deren Überzeugungskraft man nicht folgen muss, noch Raum für Zweifel, packen die intensiv gespielten Reaktionen der Mädchen glaubhaft. Viele kleine eindrucksvolle Szenen lassen ihre Situationen nachfühlen, wie der nur kurze Blick eines anscheinend islamischen Mannes im Bus, der Sonia zwingt, sich eine Kapuze über den Kopf zu ziehen. Und der Druck der Gruppe, in der die „Schwestern“ sich gegenseitig anstacheln und kontrollieren.

„Der Himmel wird warten“ ist aber vor allem durch das Auftreten von Dounia Bouzar authentisch und teils dokumentarisch. Bouzar spielt sich selbst, sie gibt in ihren Gesprächskreisen für Eltern und die Mädchen viele Informationen darüber, wie beispielsweise die islamistischen „Romeos“ per Internet reihenweise junge Frauen zum Dschihad verführen. Hier ähnelt die Methode der Filmemacherin Marie-Castille Mention-Schaar ihrem ebenfalls exzellenten Vorgänger „Die Schüler der Madame Anne“, in dem eine Lehrerin einer aggressiven Multikulti-Klasse den Holocaust vermittelt und dabei den schon abgeschriebenen Schülern neues Selbstvertrauen gibt. Auch der neue Film spielt wieder in den Schulklassen, das Sozialleben findet aber diesmal hauptsächlich in den Sozialen Medien statt.

Der kluge und bewegende Film packt und hält über eine geschickte Montage eine emotionale Balance, die das Vorher und Nachher der beiden Mädchen, deren Wege miteinander verknüpft sind, gegenläufig präsentiert. So erleben wir, wie Mélanie sich immer mehr in den religiösen Wahn hinein steigert und schließlich nach Syrien abreist, während Sonia langsam zurückkehrt und bei Dounia Bouzar vom Verschwinden ihres Selbst berichten kann. Ohne Phrasen oder Patentlösungen zeigen die Bilder wenigstens einen hoffnungsvollen Weg auf. Ansätze zum Nachdenken und Verstehen gibt es auf diesen Pfaden reichlich.


Ein FILMtabs.de Artikel