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Die Augen des Engels

Großbritannien, Italien, Spanien 2014 (The Face of an Angel) Regie: Michael Winterbottom mit Daniel Brühl, Kate Beckinsale, Valerio Mastandrea, Cara Delevingne 103 Min.
Wenn ein großartiger und kluger Künstler wie Michael Winterbottom („Welcome to Sarajewo“) sich eines Boulevard-Themas wie der italienischen Mordanklage gegen die Amerikanerin Amanda Knox annimmt, darf man viel mehr erwarten, als all die schmutzige Wäsche, die auf den bunten Seiten genüsslich hierüber ausgebreitet wird.
Was bisher geschah, können Sie eigentlich dem Altpapier aller Medienformen entnehmen: Die britische Studentin Meredith Kercher wurde 2007 im italienischen Perugia ermordet. Die mit Kercher befreundeten Amanda Knox und Raffaele Sollecito wurden lange Zeit – unter extremem Medieninteresse – der Mittäterschaft beschuldigt, und erst im März 2015 wurde Knox in letzter Instanz freigesprochen. Winterbottom schickt nun den zuletzt erfolglosen Regisseur Thomas Lang (Daniel Brühl) auf Recherche nach Italien. Von der italienischen Journalistin Simone Ford (Kate Beckinsale) begleitet und von der kellnernden Studentin Melanie (Cara Delevingne) durch das Nachtleben geführt, stürzt sich Lang erst mal in einen Haufen von Drogen. Dabei schleppt er noch die Probleme einer Trennung und die Sehnsucht nach seiner kleinen Tochter durch den Film.
Figuren, die Thomas Lang trifft, präsentieren einige Theorien über die Tat. Ein mysteriöser Blogger weiß mehr als die Polizei. Oder gehört das zu den verwirrenden Tagträumen des orientierungslosen Regisseurs? Aber Lang und der Film selbst zeigen kein großes Interesse, herauszubekommen, wer den Mord begangen hat. Winterbottoms Alter Ego-Regisseur meint, man müsse es sich wie eine Folge von „Akte X“ vorstellen. Man weiß letztendlich nie, was passiert ist. Und Justiz ist sowieso ein Popularitäts-Wettbewerb. In den Dialogen wird behauptet, dass die öffentliche Präsentation der Angeklagten, die hier einen anderen Namen trägt, entscheiden für das Urteil war.
Doch erlebt man dies in „Die Augen des Engels“ nie wirklich. Dafür verfolgt man, wie Daniel Brühl, der Niki Lauda der deutschen Schauspielkunst, sich als ungeeignete Identifikationsfigur reglos, undurchsichtig und dauernd bedrückt durch die Handlung schleppt. Genau wie die Musik des Films. Auch dass die Welt der ausländischen Reporter, wie schon im großartigen Kriegs(reporter)film „Welcome to Sarajevo“, im Fokus sein soll, bleibt nur behauptet.
Wobei Winterbottom, selbst wenn er an hohen Erwartungen scheitert, noch immer geistreicher als die Masse an Kinofilmen ist: Da philosophiert ein Reporter über das große Interesse an Krimis, während wir doch reale Sterbefälle am liebsten ausblenden und verdrängen. Da spiegeln sich immer wieder die Anforderungen an den Regisseur im Film in denen an den Regisseur des Films. Denn schließlich erwarten die Produzenten ja „einen Film über die Mordgeschichte von zwei Teenagern“. Weil Sex und Verbrechen sich hervorragend verkaufen. Das könnte Winterbottom auch, wie er 2004 mit dem erotischen Beziehungsfilm „9 Songs“ bewies. Doch so wie Daniel Brühl hier nie den Anschein eines Filmemachers erweckt, kann man bei „Die Augen des Engels“ auch kaum glauben, etwas von einem der besten Regisseure unserer Zeit zu sehen.


Ein FILMtabs.de Artikel