« | Home | »

Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit

USA 2014 Regie: Alejandro González Iñárritu mit Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Emma Stone, Naomi Watts 120 Min. FSK: ab 12
Being Michael Keaton
It’s a bird. It’s a plane. It’s a Super-Film! Alejandro González Iñárritu („Biutiful“, „Babel“, „21 Gramm“) führt Ruhm, Eitel- und Einsamkeit in einem filmtechnischen Kabinettstückchen vor, und gewährt „Batman“ Michael Keaton damit ein postmodernes Comeback. Der großartige „Birdman“ sprengt die Grenzen von Kino und Theater.
Der Absturz einen brennenden Teils aus dem All, ein im Lotus-Sitz schwebender Mann in einer heruntergekommenen Künstler-Garderobe. Schräg, aber erst der Auftakt einer wahnsinnigen Inszenierung: Riggan Thomson (Michael Keaton) war vor zwanzig Jahren in der Superhelden-Rolle des Birdman ein Hollywood-Star. Nun ist er auf den Broadway abgestürzt, wo er „echte Kunst“, also Theater macht. Riggan adaptiert eine Raymond Carver-Kurzgeschichte für die Bühne, führt Regie und spielt auch noch die Hauptrolle. Wobei manchmal noch seine alten Super-Kräfte durchkommen, wenn beispielsweise dem unfähigen Mitspieler ein Scheinwerfer auf den Kopf fällt.
Noch mächtiger ist allerdings der „Birdman“-Regisseur Alejandro González Iñárritu mit seinen endlosen Kamerafahrten im und ums Theater samt Free Jazz Drum-Begleitung. Die Kamera führte Emmanuel Lubezki , der einen Oscar für „Gravity“ erhielt. Dabei geht es nicht nur durch die langen Gänge hinter den Bühnen, es gelingen auch geniale Zeitsprünge wie einst bei Theo Angelopoulos. Riggan, der gerade noch allein in seiner Garderobe saß, sieht sich nach einer Kopfdrehung inmitten von Interviewern, die vor allem wissen, ob er noch einen Birdman drehen wird. Und während gerade noch die Neubesetzung Mike (Edward Norton) beeindruckte, ist nach einem dieser Gänge durch die Gänge des Broadway-Theaters der Saal plötzlich voller Zuschauer für die öffentliche Generalprobe.
So weit die faszinierende Form des Films. Inhaltlich macht Iñárritu den gleichen Gegensatz zwischen Hoch- und Pop-Kultur auf wie Ozons „Sils Maria“. Nur ganz anders. „Birdman“ geht in die Richtung von Charlie Kaufmans “Synecdoche, New York“, dem intellektuell wahnsinnigsten Film aller Zeiten. Denn das Dauergrinsen angesichts all der kleinen, verrückten Einfälle und des großartigen Schauspiels in diesem Schauspiel steigert sich zu einem hellen Lachen, wenn klar wird, dass gleich drei der Hauptdarsteller Superhelden-Vergangenheiten haben: Ex-Batman Michael Keaton verließ die Batman-Geldmaschine exakt 1992, in dem Jahr, als auch Riggan Thomson mit Birdman aufhörte. Edward Norton war „The Incredible Hulk“ und Emma Stone die Geliebte von „The Amazing Spider-Man“. Sie spielt, auf ein weniger rekursives Handlungsniveau runtergebrochen, Riggans Assistentin und Tochter Sam, die gerade aus dem Drogenentzug kommt.
Da proben sie also in einem Kamera-Fluss ohne Unterbrechung das Stück nach Carver (dem Autor von Robert Altmans „Short Cuts“) über die Liebe, streiten und befummeln sich auf der Bühne, prügeln sich hinter der Kulissen und immer ruft die Stimme in Riggans Kopf „Mach mir wieder den Birdman“. Tatsächlich fliegt der gealterte Held in einer großen Action-Sequenz durch die Straßen New Yorks, muss aber auch in Unterhose hochnotpeinlich über den Time Square rennen. Ja, so tragisch all diese Schicksale der Schauspieler sind, die ernst genommen und geliebt sein wollen, der Film ist durchgehend komisch, in Handlung oder Inszenierung. Gleichzeitig gibt es haufenweise Special Effects und Action, die den Film ins Surreale abheben lassen.
Für die wunderbare Sekunden, in denen Keaton gebeten wird, das beängstigende Lächeln aufzugeben und seine Irritation für einen Moment die Gesichtszüge Achterbahn fahren lässt, für einen wunderschönen Streit mit einer gnadenlosen Kritikerin, die schon vorher weiß, dass sie sein Stück vernichten wird, für die nahtlos integrierten Traumszenen, für den Wahnsinn von „Shining“ im Teppich, ja überhaupt muss man „Birdman“ mehrmals sehen. Auch um mitzubekommen, wo die Schnitte in dieser endlosen Plansequenz versteckt sind. Da sie jedoch digital versteckt sind, ist das ein chancenloses Unterfangen und ein neuerlicher Grund, für noch eine Schleife in dieses außergewöhnliche Filmvergnügen einzutauchen.


Ein FILMtabs.de Artikel