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1001 Gramm

Norwegen, BRD, Frankreich 2014 (1001 Gram) Regie: Bent Hamer mit Ane Dahl Torp, Stein Winge, Laurent Stocker 91 Min. FSK: ab 0
Wie viel wiegt ein Leben? Und was die Liebe? Nun, diese Messung hat ein Film schon öfters, etwa mit Alejandro González Iñárritus „21 Gramm“ vorgenommen. Bent Hamer justiert seine Gewichtung deutlich von Tragödie zu nachdenklicher Komödie und bemisst die Wiegerei und das ganze Zahlenspiel als zu leicht.
Die sehr ernste Wissenschaftlerin Marie Ernst (Ane Dahl Torp) fährt schon im ersten Bild mit ihrem sonderbaren Elektro-Kleinwagen gegen den Strom. Selbstverständlich sehr ernst vermisst sie mit anderen Kollegen des norwegischen Eichamtes Lotto-Auslosungs-Bälle oder – in Norwegen unausweichlich – die Länge von Skisprung-Schanzen. Wie schon bei den Ergonomen, die in Hamers „Kitchen Stories“ (2003) in der Provinz Küchenwege verfolgten, sind schon die Räume und Wege skurril. Schon das Institut hat endlos lange Gänge und winzig schmale Winkel, in denen heimlich geraucht wird. Futuristisch wie bei Jacques Tati dann die Wohnung der Eichamts-Mitarbeiterin Marie, die selbst in ihren eigenen rechtwinklig kühlen Bauhaus-Kuben nur verhuscht am Kamin raucht. Klinisch weiß ist hier alles und dass Maries Ex-Mann zwischendurch vorbeikommt, um Möbel auszuräumen, macht es auch nicht gemütlicher.
Als Maries Vater Ernst Ernst (sic!) einen Herzinfarkt erleidet, vertritt sie ihn beim Kilo-Seminar in Paris, zu dem alle Delegierten mit ihrem nationalen Referenz-Kilogramm fahren, um zu schauen, ob ihres zugenommen oder das Pariser, „die Mutter aller Kilogramm“, vielleicht abgenommen hat. Ehrfürchtig wird das norwegische Kilo verpackt, die letzte internationale Referenz-Größe dieses Eichamtes. Doch erst ein paar Reisen später bekommt Marie das Gefühl, dass alles um sie herum in die Brüche geht, letztlich auch das so gehütete Ur-Kilo. Der ehemalige Professor Pi, der nun vor seinem Ex-Institut gärtnert, führt auch die verklemmte Frau zurück zur Natur. Die Zahlen, die die Welt bestimmen, bekommen wieder ein menschliches Maß – beim erotischen Sprachunterricht in der Badewanne.
Nach dem wirklichen ernsten, mit den dunklen Seiten des Menschlichen schwarz gezeichneten „Home for Christmas“ (2010) und dem wunderbar frei kuriosierenden „O’Horten“ (2007) scheint Bent Hamer nun seinem Ko-Skandinavier Roy Andersson (der in zwei Wochen mit seinem Venedig-Sieger „Die Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ startet) in dem Maß der Pro-Bild-Skurrilität Konkurrenz machen zu wollen.
Aber trotz des witzigsten Autounfalles seit „Traffic“, trotz kleiner Scherze über die viel zu ernsthaften Wissenschaftler, verläuft diese Komödie des stillen Menschlichen, dieses kleine, stille Psycho-Gramm Maries arg träge. Dieser neue Bent Hamer ist nicht der erwartete Hammer mit ganz besonders skurrilem Humor. Er ist leider nur eine nette, leicht schräge Komödie.


Ein FILMtabs.de Artikel