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Istanbul United

BRD, Tschechien, Schweiz, Großbritannien, Türkei 2014 Regie: Olli Waldhauer, Farid Eslam 90 Min. FSK: ab 16 „Istanbul United“ ist ein unausgegorener Dokumentarfilm, der eine Fußnote vom Rand der türkischen Proteste zum Erhalt des Gezi-Parks aufbläht und übersieht, dass die eine Gewalt nur angesichts einer größeren sympathisch werden soll. Die Begeisterung der Fußballfanaten von drei verfeindeten Istanbuler Profi-Unternehmen verursacht Gänsehaut, weil die gleichen Gesichter auch bei faschistischen Massenaufmärschen, bei Bücherverbrennungen und vielem anderen Schrecklichen zu sehen waren. Und ein kurzer, nicht im Film vorkommender Gedanke rüber nach Ägypten, wo in Port Said noch 2012 bei gewalttätigen Ausschreitungen rund um ein doch angeblich so verbindendes Fußballspiel 74 Menschen getötet und knapp Tausend verletzt wurden, erdet diese naive Hymne auf ein paar zeitweise demokratisch engagierte Fußballfans. Denn zum Alltag der türkischen Ultras gehören Massenschlägereien und auch Tote. Und auch wenn Premier Erdogan im Schnitt als böser Anführer der korrupten Herrschaft angedeutet wird, es kommt auch der „Führer“ eines Fan-Club mit martialischen Phrasen zu Wort: Sie würden für ihren Verein töten. Ein Sportreporter schildert den Mord zwischen Fans als epischen Vorgang, nicht als systemimmanente, zwangsläufige Folge von Fanatismus und Fußball. So schwelgt „Istanbul United“ lange distanzlos in Bildern von idealisierter Gemeinschaft mitten unter den Fans und Hooligans. Diese Erhöhung von aggressivem, männlichem Fanatismus erscheint einem mindestens als naiv, wenn nicht gar als widerwärtig. Aus den aggressiven Typen, die scheinbar nichts anderes wollen, als sich gegenseitig übel zu beleidigen und tot zu schlagen, werden dann nach circa dreißig Minuten Film angesichts der Proteste um den Gezi-Park unvermittelt – wieder aggressive – Demonstranten, die nun gemeinsam für eine wohl gute Sache kämpfen. Diese Wandlung ist für den Gesamtzusammenhang einer zunehmenden Ent-Demokratisierung unter Ex-Premier und Jetzt-Präsident Erdogan wahrscheinlich so wichtig wie David Hasselhoff für den Fall der Berliner Mauer. Allerdings ist der Film wenigstens wieder mittendrin, diesmal im Protest und im Tränengas-Nebel. Was zu einer halbwegs interessanten und informativen Dokumentation der Proteste aus Sicht der Niedergeknüppelten führt. Das hat mit Fußball nicht viel zu tun – außer der altbekannten Tatsache, dass es ohne die Dauerberieselung mit Sport in allen Medien viel mehr (Zeit für) Nachdenken, Proteste und Bürgerbeteiligung geben würde. ✍


Ein FILMtabs.de Artikel