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Locarno 2014 Eröffnung

Luc, Lucy und Léaud am Lago Locarno. Gestern Abend wurde das 67. „Festival del film“ von Locarno (6. – 16. August 2014) feierlich im Open Air-Kino der Piazza Grande eröffnet. Das stimmungsvollste Kino Europas klotzte gleich zu Beginn an allen Ecken des Schweizer Ferien-Örtchens am Lago Maggiore. Rund um Luc Bessons aufsehenerregenden Eröffnungsfilm „Lucy“ mit Scarlett Johansson und Morgan Freeman reichte die Spanne am Abend von der Nouvelle Vague bis zum neuen Zampano des französischen Kinos, Luc Besson. Jean-Pierre Léaud, das ehemals junge Gesicht der Nouvelle Vague in Truffauts Antoine Doinel-Filmen, erhielt einen Ehrenleoparden für sein Lebenswerk. Luc Besson („Im Rausch der Tiefe“, „Das fünfte Element“, „Leon- Der Profi“, „Transporter“), der noch fleißig als Regisseur, Autor, Produzent und Studiogründer an seinem Lebenswerk werkelt, hielt seine Pressekonferenz direkt Open Air und öffentlich. „Lucy“ ist mehr grandioser Science Fiction als Action-Thriller. Dabei verliert der Film, der nächste Woche in Deutschland startet, keine Zeit, um Lucy (Scarlett Johansson) in die Hände von koreanischen Drogenschmugglern zu werfen. Doch der neue Stoff löst sich in ihrem Körper-Versteck unter der Bauchdecke auf. Sie kann die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns immer mehr und weit über die üblichen 10 Prozent einsetzen, wie Morgan Freeman als Professor parallel vorträgt. Das geriet als Gedankenspiel viel spannender als die brutale Korea-Mafia, die gegen dieses neue Wonder-Woman chancenlos ist. Im umgekehrten Countdown bis zur 100-prozentigen Nutzung der neuronalen Fähigkeiten fährt Besson reichlich erstaunliche Tricks seiner Heldin und noch mehr filmische Gimmicks auf. Das ergibt einen wilden aber originellen Science Fiction, der vor allem so gut wie keine Zeit für unnötige Wiederholungen verschwendet. Die philosophische Ebene bietet eine Geschichte allen Lebens als Fast Food, eine Art Terrence Malick 3.0 an. Allerdings nicht als große Komposition sondern als Abfolge von Pointen. Bis zum neuen Schöpfungs-Sinnbild, in dem Lucy mit einem Fingerzeig gleichzeitig Gott und als Äffin Adam ist. Das vielfältige Kinofest Locarnos begann im zweiten Jahr des künstlerischen Leiters Carlo Chatrian dabei sogar schon am Nachmittag mit wahrlich anderen modernen Zeiten, einer Aufführung von Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ unter Orchester-Begleitung. Und es sollte als Film-Party bis tief in die Nacht mit Ehrengast Melanie Griffith weitergehen. Dass sie sich auf einer Champagner-Party zeigt, ist dabei die eigentliche Sensation. Als Hauptdarstellerin von „Thirst“, einem mäßigen Kurzfilm der Reihe „Pardi di domani“, spielt sie eine heruntergekommene, versoffene Prostituierte, die eher wie siebzig und nicht wie kurz vor ihrem 57-Geburtstag am 9. August aussieht. Die jungen sexy Rollen übernimmt jetzt ihre Tochter als Hauptdarstellerin von „Fifty Shades of Grey“, der hier zum Glück weit und breit nicht zu sehen ist. Als Begleitprogramm zu den 274 kurzen, mittellangen und langen Filmen aus 47 Ländern werden unter anderem Juliette Binoche, Julie Depardieu, Mia Farrow, Florian David Fitz, Tony Gatlif, Giancarlo Giannini, Armin Mueller-Stahl, Roman Polanski, Jonathan Price, Jason Schwartzmann, Emmanuelle Seigner, Agnès Varda und Jürgen Vogel erwartet. Heute startet in den Kinosälen der Wettbewerb um die Goldenen Leoparden, die zum Abschluss am 16. August verliehen werden. Hier gehen die deutschen Koproduktionen „A blast“ von Syllas Tzoumerkas sowie „Dos Disparos“ von Martín Rejtman als Weltpremieren ins Rennen. Auf der Piazza geht es hingegen mit einer anderen Stimmungslage weiter: Mit der israelisch-deutsch-französischen Produktion „Dancing Arabs“ will Regisseur Eran Riklis („Die syrische Braut“, „Lemon Tree“) ein Plädoyer für ein menschliches Zusammenleben in der derzeit wieder extrem krisengeschüttelten Region auf die Leinwand bringen. Ein starkes Argument für die Evolutions-Geschichte nach Bessson, die Lucy im Schlusssatz zusammenfasst: „Das Leben wurde uns vor einer Billiarde Jahren gegeben. Jetzt wisst ihr, was ihr damit machen sollt!“ Wahrscheinlich ins Kino gehen! ****** Auf www.pardolive.ch gibt es neben Trailern und exklusiven Berichten auch die Präsentationen auf der Piazza Grande und die Gespräche mit Ehrengästen als Livestreaming zu sehen. ✍


Ein FILMtabs.de Artikel