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The Master (2012)

USA 2012 (The Master) Regie: Paul Thomas Anderson mit Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Laura Dern 173 Min. Die Rezeption eines Film ist im großen Maße auch immer davon abhängig, was in Kino an Wissen und Erwartung mitgebracht wird. „The Master“ macht dies besonders deutlich: Wer die Biographie von L. Ron Hubbard und die Demontage seiner Scientology-Gruppierung erwartet, ist über weite Strecken im falschen Film, denn das war nicht beabsichtigt. Wer sich fünf Jahre nach „There Will Be Blood“ auf einen neuen Film von „Magnolia“-Regisseur Paul Thomas Anderson freut, liegt richtig. In Venedig gab es für diesen herausragenden Film einen Silbernen Löwe für die Regie von Paul Thomas Anderson und einen weiteren Hauptpreis für die Darsteller Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix. Joaquin Phoenix spielt den rastlosen Freddie Quell, der 1950 mit nervösen Störungen aus der Navy entlassen wird. Liegt es an den „Japsen“, die er umgebracht hat? Oder an den Drinks, die er sich immer und aus allem Möglichen, sogar aus Torpedo-Brennstoff, zusammen mixt? Egal, denn Freddie gehört zu den Menschen, die sich darüber keine Gedanken machen. Rasch rafft der Film ein paar Stationen des lüsternen Säufers zusammen, bis er eher aus Versehen auf dem Schiff von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) landet. Der Autor und Sekten-Führer nimmt den wilden Streuner wie einen Sohn auf, denn Freddie ist „der mutigste Junge, den er je gesehen hat“. Dodd interessieren nicht nur die Drinks des immer Betrunkenen, es geht dem freigiebigen, freundlichen und sympathischen Mann auch um die Zähmung seines neuen, ihn stimulierenden Protegés. Freddie wird in psychoanalytischen Sitzungen und Rückführungen zu vergangenen Leben das Versuchskaninchen Dodds, bleibt aber ein Schoßhündchen mit Tollwut. Bei Frau, Tochter, Sohn und Schwiegersohn vom „Master“, ist der ungebildete Neue nicht gut gelitten. Vor allem weil er, immer wenn die Methode des Meisters angefeindet wird, einfach mal losprügelt. Dabei will die Gemeinschaft mit dem Namen „Cause“ (Ursache) doch gerade durch Ãœberwindung der Traumata aus früheren Leben solche „Millionen Jahre alten“ Verhaltenweisen hinter sich lassen. Aber Dodd hält zu seinem Quell und in seinem bald veröffentlichten zweiten Buch kommt der Begriff „Quelle“ auffällig häufig vor – ein sinnreiches Wortspiel, das im amerikanischen Original nicht ganz so offensichtlich ist… Der lang erwartete neue Film von P.T. Anderson, dem Regie-Meister von „Punch-Drunk Love“ (2002), „Magnolia“ (1999) und „Boogie Nights“ (1997), ist erneut großes, intensives Kino mit faszinierenden Bildern, Szenen und Stimmungen. Gedreht im königlichen 70mm-Format, für das sich wohl kaum noch ideale Abspielkinos finden lassen. „The Master“ ist außerdem keine Abrechnung mit den Scientologen oder die Demontage eines Sekten-Führers. Dodds Ideen, etwa dass Nackenschmerzen von Verletzungen aus früheren Leben stammen können, haben mehr Gewicht als die engstirnigen Vorwürfe seiner Gegner. Philip Seymour Hoffmans Figur ist vor allem in der Beziehung zu Freddie tragisch (und wie immer ein Schauspiel-Leckerbissen). Freddie hingegen wird von Joaquin Phoenix mit Hasenscharte, schiefem Mund und krummen Rücken so kraftvoll deformiert gegeben, dass diese Nummer ein weiterer Grund ist, „The Master“ noch mal zu sehen. Neben dem durchgehend unterliegenden, mal irritierenden, mal in Schwebezustände versetzenden Score von Jonny Greenwood und den Bildern von Mihai Malaimare Jr. Wieso bei Dodds Methode aus dem „recall“ (erinnern) ein kreatives „imagine“ (sich vorstellen) wird, kann man sich dann in Ruhe überlegen. Auch, ob an der herrlichen Geschichte des beleidigten Masters, er und Freddie hätten einst in einem von den Preußen belagerten Paris erfolgreich Postballon verschickt, etwas dran ist. Pur genießen kann man Dodds Abschiedslied für seinen Seemann, „I’d love to get you on a slow boat to China, All to myself alone“…


Ein FILMtabs.de Artikel