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Berlinale DIE RÄUBER, CATERPILLAR

Berlinale DIE RÄUBER, CATERPILLAR
Berlin. Der erste von zwei deutschen Startern im Wettbewerb „lief“ gestern im Wettbewerb. (Oskar Roehlers sicher sehr provokativer „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ mit Moritz Bleibtreu als Goebbels stellt sich am Donnerstag der Jury und dem Publikum.) Ein bislang ausgezeichneter und vom depremierend grauen „Submarino“ bis zum knallbunten Coen-Remake von Zhang Yimou „A Woman, A Gun And A Noodle Shop“ sehr farbiger Wettbewerb kommt in seine patriotisch-kritische Phase. Ist Fremdschämen angesagt oder lohnt es sich weiterhin, auch deutsche Filme zu sehen?
Im letzten Jahr erlebte der deutsche Film einen Besucherrekord im Kino. Auch durch die Berlinale hat er an Ansehen gewonnen, Benjamin Heisenberg wurde allerdings 2005 in Cannes (in der Nebenreihe „Un Certain Regard“) mit seinem politischen und viel diskutierten Spielfilmdebüt „Schläfer“ bekannt. Vorher schrieb er schon das Buch zu Christoph Hochhäuslers „Milchwald“ (2002). „Der Räuber“ basiert auf einer wahren Geschichte und auf dem gleichnamigen Roman von Martin Prinz. Tatsächlich raubte ein leidenschaftlicher Marathonläufer mehrere Banken aus und hängte dabei immer wieder die Polizei ab. Endlich mal ein Läufer, der nicht wegen der falschen Zahnbürste oder das falsche Geschlecht in die Schlagzeilen kam. Johann Rettenberger raubte nur Banken aus.

Nach sechs Jahren Knast mit Laufen beim Freigang und Laufband in der Zelle ist Rettenberger direkt bester Österreicher beim Wienatathon. Ein tolles Comeback, dabei hat er langst eine Bank überfallen. Rettenberger ist ein ernster Typ, redet nicht viel, hat keine Freunde, lacht nicht. Auf seiner Polar XY 400 zeigt der Puls nur beim Ãœberfall Spitzenwerte – eine besondere Form des Intervaltrainings. Das Rauben ist ihm ebenso eine Sucht wie der Sport. Dann hat er einen richtigen Lauf, raubt gleich zwei Sparkassen hintereinander aus und auch der Film gibt mit Steady Cam mal richtig Gas.

Bis auf ein paar Szenen zum Ende hin ist „Der Räuber“ nicht auf Spannung inszeniert, gibt den Kick Rettenbergers nicht weiter an das Publikum, sondern lässt beobachten.“Das was ich mache, hat nichts mit dem zu tun, was du Leben nennst“, sagt der Läufer und Räuber Erika, die ihn liebt und verrät. Er ist kein Held, kein Clyde ohne Bonnie, sondern eine tragische Figur. „Der Räuber“ ist ein anständiger, interessanter Film. Aber in jeder Hinsicht bescheiden, im  
Vergleich zu emotinalen Einschlägen wie der japanische „Caterpillar“, der ebenfalls gestern im Wettbewerb lief.

Ein schockierendes und auch absurdes Abbild des Krieges stellt uns der alte japanische Regisseur Koji Wakamatsu ins Wohnzimmer: Einen Rumpf mit amputierten Armen und Beinen. Ein Kopf, großflächig von tiefen Narben zerfurcht, taub und stumm. Fast könnte man Mitleid mit diesem verkrüppelten Mann haben, hätten wir nicht in den ersten Szenen gesehen, dass sich dieser „Kriegs-Gott“ des japanisch-chinesischen Krieges 1940 seine höchsten Medaillen mit dem Vergewaltigen von Chinesinnen verdient hat. Seine anfangs geschockte Frau füttert und pflegt ihn. Liest dem Stammelnden die Wünsche von den Lippen ab, auch wenn er vor allem mit ihr schlafen will. Doch er zeigt schnell sein hässliches Gesicht, verschlingt auch ihr Essen, ist überhaupt unersättlich wie die große japanische Nation, die immer mehr Opfer haben will. Man sieht, dass er seine Frau gerne schlagen würde, wie er es täglich machte, bevor man ihn einzog.
Die grandiose Metapher für das Monstrum des Krieges, das sich, begleitet von Propaganda und Patriotismus in den Hütten einnistet, ist Wakamatsu erschreckend gelungen. Diese Bild des Schreckens wird sich auf der Netzhaut einbrennen wie halb weggeschossene Gesichter oder vom Napalm verbrannte vietnamesische Kinder.

In „Perspektive Deutsches Kino“, der Nachwuchsreihe für den deutschen Film, war gleich der Auftakt ein Knaller: „Renn, wenn du kannst“ von Dietrich Brüggemann zeigt Robert Gwisdek, Anna Brüggemann und Jacob Matschenz in einer Jules und Jim-Geschichte. Die spielt allerdings im Ruhrgebiet und Ben (Robert Gwisdek) sitzt im Rollstuhl. Die junge Cellistin Annika (Anna Brüggemann) liegt nach vielen schönen Momenten zu dritt irgendwann zwischen Ben und seinem Zivi Christian (Jacob Matschenz) und kann sich nicht entscheiden. Sensationell freche Dialoge, eine mutige Geschichte, der Charme des Ruhrpotts und tolle Darsteller machen „Renn, wenn du kannst“ zu einem der Hingucker für dieses Kinojahr.


Ein FILMtabs.de Artikel