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Hochrangiger Cannes-Wettbewerb vor Abschluss

Die großen Filmfestivals üben sich in Beschränkung – nur Cannes kann mehr vertragen und hängt noch einen Tag dran. Am Sonntagabend wird die Jury des 59. Internationalen Filmfestivals (17.-28.5.) um den chinesischen Regisseur Wong Kar-Wai die Palmen-Sieger bekannt geben und die Entscheidung zwischen den zwanzig Beiträgen aus aller Welt dürfte nicht leicht fallen.

 

Cannes 2006 zeigte sich in einem überaus vielfältigen und mutigen Wettbewerb von der besten Seite: Reihenweise berühmte Regisseure und Star, sowie eine verblüffende Themenvielfalt. Private Familiendramen bei Almodovars „Volver“, der irische Bürgerkrieg bei Ken Loach, der Einsatz der französischen Araber im 2. Weltkrieg („Indigenes“), die Verrohung („Flandres“) und die Kommunikationsunfähigkeit („Babel“) der Menschen, garstige Geldeintreiber und rosarote Königinnen. Dazu der übliche chinesische Politfilm, dessen Regisseur zuhause wohl ein Berufsverbot erwartet.

 

Lost in Tradition!

In jede Richtung erlaubten sich die Programm-Macher viel: Da kommt etwa die mittlerweile als Regisseurin anerkannte Coppola-Tochter Sophia („Lost in Translation“) nach Frankreich und will den Söhnen und Töchtern der Barrikaden-Kämpferin Marianne erzählen, die verhasste und bei der Französischen Revolution geköpfte Marie Antoinette sei gar nicht ihre verprassende, abgehobene Königin gewesen. Wie in ihrem Erstling „Virgin Suicide“ kreiert die junge Filmemacherin vor allem eine Atmosphäre, ein Schweben in luxuriöser Einsamkeit; absurder Repräsentationszwang und rockige Ausbrüche daraus. Die junge österreichische Prinzessin Marie Antoinette (Kirsten Dunst) wird als fröhlicher Teenager aus politischen Gründen mit dem französischen Thronfolger verheiratet. Die Regeln des Hofes von Versailles machen ihr ebenso zu schaffen, wie ein völlig desinteressierter Gatte, der ihr eigentlich noch ein paar Thronerben zeugen sollte. Schwelgen in Luxus und unzähligen schicken Schuhen dient dem Frustabbau, das weiß Brigitte, Imelda Marcos und jedes weibliche Kind. Dass draußen die Menschen verhungerten, weiß man in diesem Film nicht unbedingt, auch die Hinrichtung Marie Antoinettes wurde ausgeblendet – wir wollen doch keine Flecken im Barbie-Puppenhaus.

 

Der Film brachte die größte von einigen hundert Partys mit sich und ein gewaltiges Feuerwerk. Ein besonderes Highlight für allabendlichen Menschenmassen und Medien, die Stars und Sternchen bewundern. Selbst Werbeveranstaltungen für laute Hollywood-Produktionen verkraftet das Festival auch locker. Nach der großen Aufregung wird der Rote Teppich vom Schmutz befreit und steht wieder der Filmkultur zur Verfügung.

 

Die recht dünne Präsenz deutscher Filme hat niemand wirklich gestört, die nationalen Produzenten halten still und warten auf Regierungs-Entscheidungen in Sachen Steuerbefreiung. Obwohl es nicht zusammen passt, dass mit Förderung der Filmstiftung NRW der renommierte Ken Loach seinen Film im Wettbewerb zeigt, während die heimische Landesregierung diese Kultur- und Wirtschaftsförderung grob um 20 Prozent kürzt. Dadurch Cannes demnächst ohne NRW-Filme?

 

 

 


Ein FILMtabs.de Artikel