Zeit der Sinnlichkeit

GB 1995 (Restoration) Regie Michael Hoffman, 118 Min.

Der üppige und faszinierende Historienschinken "Zeit der Sinnlichkeit" zeigt einen mehr und mehr hilflosen Menschen, der in den Ablauf vieler Wirrnisse geworfen wird. Er durchwatet bei seiner Läuterung Epidemien, Feuersbrünste und Intrigen am Hofe Charles II.

Als Nichtsnutz startet der junge Arzt Merivel (Robert Downey Jr.) im Jahre 1660 in die Geschichte. Er ist ein begnadeter Heiler, der aber seinen Körper lieber an viele Frauen und ein wildes Nachtleben verschenkt. Am Tag folgt knallharte Plackerei im übervollen Hospital. Und eine der medizinische Sensation dieser Zeit, als sich Merivel als Einziger traut, ein offenes Herz zu berühren!

Doch Merivel will mehr. Deshalb nimmt der neugierige, lebenslustige Arzt auch freudig ein Engagement bei Hofe an - und kuriert die Hunde des Königs. Der Wissenschaftler wird dadurch allerdings selbst Teil eines Experimentes im Rahmen des lächerlich ("Ridicule") förmlichen Lebens am Hofe, wo ein Fehltritt, ein falsches Wort die ewige (gesellschaftliche) Verdamnis nach sich zieht.

Merivel soll Celia (Polly Walker), die Maitresse des Königs (Sam Neill), ehelichen. Nur zur Tarnung selbstverständlich, Emotionen zu seiner Gattin sind dem Höfling streng untersagt. Klar, daß dies schiefgeht, und mit dem aufstrebenden Jüngling geht es ganz schnell wieder bergab. Als Gegenpol zu Merivel funktioniert der alte Studienfreund John Pearce (David Thewlis), ein Quäker, der sein Leben den Bedürftigen opfert. In dessen Spital lernt der Lebemann den Tod kennen und Ängste besiegen. Doch die Schicksalsschläge sind noch lange nicht ausgezählt, mit der Pest von 1665 zieht eine gewaltige Tragik in den Film ein (und rafft die schön verrückte Meg Ryan dahin). Der entsetzliche Brand Londons von 1666 zerstörte circa 85 Prozent der damaligen Stadt und läutert Merivel ein weiteres Mal.

"Zeit der Sinnlichkeit" mit Robert Downey Jr. ("Chaplin") in der Hauptrolle ist ein opulenter Historienfilm mit praller Story, deftigen Kulissen, wallenden Kostümen und guten Schauspielern. Michael Hoffman restauriert filmisch eine Epoche, und die ist selbst faszinierend: Charles II kam nach Oliver Cromwells puritanischer Regierungszeit erneut an die Macht und läutete eine Ära rasanten wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Fortschritts ein. Man nennt sie Restoration - so lautet auch der programmatische Originaltitel des Films. Mit allen Mitteln - außer Bescheidenheit - plant der gigantisch denkende Herrscher neue Bauten. Schon in deren Modellen verliert sich der einzelne Mensch. Doch Künste und Wissenschaften erscheinen nur als eitler Zeitvertreib. Die alte Metapher des Vogels im Käfig beschreibt das Leben der Höflinge. Nur in der Gegenwelt des Landsitzes sind heimlich offene Gefühle möglich. Sehr schön zeigt Michael Hoffman die dunklen Seiten einer euphorischen Epoche und zieht darin Parallelen zum Heute. Auch bei uns rast die Entwicklung auf den verschiedensten Gebieten der Zukunft entgegen.

Unter den vielen hervorragenden Darstellern amüsiert ein gepuderter Hugh Grant mit einem Übermaß seiner üblichen Manierismen als extreme Hofmaler-Parodie.

"Zeit der Sinnlichkeit" erhielt 1996 zwei Oscars und wurde beim 2. Europäischen Filmfest in Aachen zum Publikumsliebling gewählt.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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